„Die Sonette von Shakespeare und eine alte Fabrik, da weiß anfangs keiner, was das werden soll. Genau darum fand ich es interessant“, sagt Regisseur Michael Sturminger. Geworden ist es ein musikalisches Stationentheater an einem ungewöhnlichen Ort, in einzigartiger Arbeitsatmosphäre für die Mitwirkenden und ein begeistertes Publikum.

Im Rahmen der Kooperation des Max Reinhardt Seminars mit dem Lausitz Festival eröffnete das eigens konzipierte Stück Sonettfabrik das Festival in der stillgelegten Brikettfabrik LOUISE in Domsdorf, Deutschland. Im Schloss Leopoldskron in Salzburg wurde kurz darauf die für die Räumlichkeiten adaptierte Fassung Reinhardt probt Shakespeare-Sonette aufgeführt. Ein Sonett ist ein Gedicht in einer bestimmten Versform. Shakespeares Gedichtzyklus, bestehend aus 154 Sonetten, wurde erstmals 1609 veröffentlicht.

Jan Henri Müller, Klaudia Sobota, Leonie Pum, Sarah Wockenfuß, Crispin Hausmann, Wojo van Brouwer, Claudia Renner, Leonard Tondorf (v. l. n. r.) © Harald Hauswald / Lausitz Festival

Mit der Organisation Salzburg Global, der heutigen Eigentümerin von Schloss Leopoldskron, begann das Max Reinhardt Seminar 2023 eine Kooperation anlässlich des 150. Geburtstags von Max Reinhardt, in dessen Besitz Schloss Leopoldskron von 1918 bis 1938 war. „Max Reinhardt lud seine Studierenden damals in das Schloss ein und integrierte sie in die Salzburger Festspiele“, sagt Alexandra Althoff, Leiterin des Max Reinhardt Seminars. Die Kooperation mit Salzburg Global ermöglicht es den Studierenden des Max Reinhardt Seminars in einem „Theaterlabor“ einen gewählten Stoff zu erarbeiten und dem Publikum zu präsentieren. Für dieses Jahr gab es die Idee, sich mit Shakespeares Sonetten zu befassen. Dazu kam das Angebot des Lausitz Festivals, die Brikettfabrik LOUISE zu bespielen, die mittlerweile ein Museum ist. „Das Besondere am Lausitz Festival ist, dass viele Menschen kommen, die noch nie im Theater waren“, so Althoff, die für die Dramaturgie des Stationentheaters verantwortlich zeichnete. Shakespeares Gedichte ausgerechnet in diese Gegend und zu den dortigen Menschen zu bringen, erschien dem Team besonders reizvoll. Die Lausitz ist geprägt vom Braunkohleabbau, die Geschichte und Bedeutung der ehemals großen Industrie wirkt in vielen Ortsansässigen nach. Die Zuseher_innen wurde von den Mitarbeitenden der Brikettfabrik LOUISE durch die verschiedenen Stationen bzw. Orte in der Fabrik geführt, wo die Schauspieler_innen, einzeln oder im Ensemble, die ausgewählten Sonette spielten. „Es hat Mut und Entschlossenheit von uns gebraucht. Wir standen teilweise direkt vor dem Publikum, das Teil der Szenen wurde und mitunter laut kommentiert hat“, erzählt Crispin Hausmann, Schauspielstudierender im 4. Jahrgang. Gefreut hat das Team auch, mit welcher Begeisterung die LOUISE-Mitarbeiter_innen die Vorstellungen unterstützen und Interesse an der Theaterarbeit zeigten.

Leonard Tondorf & Sarah Wockenfuß © Nikolai Schmidt / Lausitz Festival

Die Proben fanden in nur drei Wochen statt. „Wir haben die Sonette nicht so sehr als Gedichte wahrgenommen, sondern wie kurze dramatische Texte. Obwohl oft als unantastbar angesehen, haben wir die Sonette einfach genommen und damit um uns geworfen“, sagt Hausmann über die Herangehensweise. Im Großteil seiner Sonette adressiert Shakespeare einen jungen Mann, im anderen Teil eine Frau, die Dark Lady. Liebe, Eifersucht, Enttäuschung, Vergänglichkeit, Ewigkeit und Machtkritik sind zentrale Themen. „Ich finde es spannend, dass Bisexualität eine Selbstverständlichkeit in den Sonetten hat, als wäre Shakespeares Zeit unserer Gegenwart weit voraus gewesen, auch was das Thema Genderfluidität betrifft“, ergänzt Althoff.

Die Sonette wurden nicht nur auf Deutsch und Englisch performt, sondern zum Beispiel auf Sorbisch, eine Sprache, die in der Lausitz gesprochen wird. „Shakespeares Sonette kann man beim ersten Mal lesen nicht gänzlich verstehen, man muss sie sich erarbeiten. Vieles bleibt enigmatisch. Es ist eine andere Art von Verständnis notwendig, wenn man sich mit Lyrik beschäftigt“, so Sturminger. „Die Natur dieser Texte ist musikalisch und rhythmisch. Es hat sich angeboten, sie mit Musik zu verbinden“, sagt Hausmann, der selbst in der Inszenierung Geige spielte, seine Schauspielkolleg_innen Akkordeon, Querflöte und Klavier. Auch Gesang, der Sound der Fabrikmaschinen und elektronische Musik wurden eingesetzt. „Durch rhythmische und musikalische Spiele mit den Texten sowie Wiederholungen versuchten wir die Sonette verständlich und begreifbar zu machen. Die ursprüngliche Bedeutung von Sonett ist Tonstück“, erklärt der Regisseur.

Flo Sohn © Salzburg Global / Katrin Kerschbaumer

Für Schloss Leopoldskron wurde das Stationentheater – auch in sehr kurzer Probenphase – adaptiert und bei großem Publikumsinteresse aufgeführt. Das Schloss ist ein Hotel und eine Eventlocation, daher boten die Aufführungen eine hervorragende Möglichkeit einen Teil der prachtvollen Räume zu besuchen. Das gesamte Team wohnte während des Arbeitsprozesses im Schloss und konnte somit intensiv in die Geschichtsträchtigkeit und Bedeutsamkeit von Schloss Leopoldskron für Max Reinhardt eintauchen. „Es war eine sehr beglückende und konstruktive Arbeitsatmosphäre. Es ist eine Spezialität von Michael Sturminger dies trotz kurzer Probenzeit und Festivaleröffnung zu schaffen“, so Althoff. „Ich mache keinen Unterschied, ob ich mit Studierenden oder voll ausgebildeten Schauspieler_innen arbeite. Wir arbeiten daran, uns die Texte zu eigen zu machen, sie zu durchdringen, bis sie plötzlich lebendig werden. Und diese Momente versuche ich zu verlängern und zum Blühen zu bringen“, erläutert Sturminger. „Es war faszinierend, diese filigran konstruierten Gedichte in solch mächtigen Räumen zu spielen, weil es so einen Kontrast darstellte“, resümiert Hausmann. Für das kommende Jahr gibt es bereits Gespräche mit Salzburg Global und dem Lausitz Festival über die Fortführung der erfolgreichen Kooperationen.

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