Eindrücke vom Festival Internacional de Música Clásica de Bogotá 2025

Musik spiegelt die Umgebung wider, aus der sie stammt. Die Sinfonien des 19. Jahrhunderts in deutschsprachigen Regionen sind geprägt von strukturierten Formen, reichhaltigen Harmonien und der Kontinuität musikalischer Traditionen. In Amerika entstand die Musik des 20. Jahrhunderts aus einer ganz anderen Realität heraus: weite, ungezähmte Landschaften, rasant wachsende Städte, politische Konflikte und Identitäten, die von indigenem, afrikanischem und europäischem Erbe geprägt sind.

Beim diesjährigen Festival Internacional de Música Clásica de Bogotá stand Musik aus Nord-, Mittel- und Südamerika des 20. und 21. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Ich war als Zuhörer und Interpret dabei – mit einem Soloprogramm mit Werken von Paul Desenne, Roberto Sierra, Leonard Bernstein sowie einer eigenen Komposition.

Viele Komponist_innen aus Nord-, Mittel- und Südamerika erhielten ihre Ausbildung in Europa, vor allem in Paris. Doch zurück in ihrer Heimat entwickelten sie eine eigene musikalische Sprache: rhythmisch komplex, harmonisch vielfältig und oft auch von politischen Haltungen geprägt. Das Festival zeigte eindrucksvoll, wie sich das europäisches Erbe in Amerika wandelte. Ein Höhepunkt war die Aufführung von Heitor Villa-Lobos’ 6. Sinfonie durch das Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo. In dieser Komposition, die brasilianische Bergsilhouetten in musikalische Linien übersetzt, verschmelzen geografische Formen mit musikalischem Ausdruck. Unter der Leitung von Thierry Fischer wirkte die Sinfonie nicht wie eine historische Rarität, sondern wie ein lebendiges Meisterwerk.

Auch die Vielfalt des Festivals war beeindruckend. Das Tschechische Nationale Symphonieorchester präsentierte Aaron Coplands Appalachian Spring – ein Werk, das mit klaren Linien und offenen Harmonien eine idealisierte ländliche Atmosphäre beschwört. Im Kontrast dazu stand Leonard Bernsteins Symphony No. 2 The Age of Anxiety, gespielt vom Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo mit Marc-André Hamelin am Klavier. Dieses Werk ist urban, fragmentiert und voller Unruhe – Musik, die die Rastlosigkeit und Spannung des modernen Lebens einfängt.

© Juan Diego Castillo-Ramirez /TeatroMayor Julio Mario Santo Domingo

Mein eigenes Stück Random Acts of Senseless Violence für Klavier und Elektronik thematisierte Gewalt – eine Geschichte, die zunächst menschlich wirkt, sich aber allmählich als die Stimme einer künstlichen Intelligenz entpuppt. Angeregt durch die Gewaltgeschichte Venezuelas und Kolumbiens entwickelte sich die Komposition zu einer Reflexion über Gewalt als elementarem Bestandteil menschlicher Existenz. Ein besonderes Highlight war die Uraufführung von Paul Desennes Siete Impresiones de Reverón, inspiriert von Bildern des venezolanischen Malers Armando Reverón. Desenne beschreibt das Werk als „Übung in Transposition und Transformation“ – mit stilistischen Wechseln zwischen mythischem Primitivismus und lyrischer Intimität. Was auf den ersten Blick folkloristisch und spielerisch wirkt, offenbart sich als vielschichtige Auseinandersetzung mit venezolanischer Identität.

Das Festival setzte bewusst ein Zeichen gegen das Klischee, dass Musik aus Lateinamerika stets festlich oder exotisch klingen müsse. Werke von Gabriela Ortiz, Gabriela Lena Frank, Osvaldo Golijov und Carolina Noguera zeigten eindrucksvoll die Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen. Besonders hervorzuheben war die selten aufgeführte Oper Kopernikus von Claude Vivier, eindringlich interpretiert von der Americas Society.

Auch die Organisation beeindruckte: Über 40 Konzerte, Workshops und Gespräche fanden an drei Tagen statt – professionell koordiniert und mit spürbarer Fürsorge für alle Beteiligten. Das Team des Teatro Mayor unter der Leitung von Yalilé Cardona sorgte für eine herzliche und respektvolle Atmosphäre, in der sich die Künstler_innen willkommen fühlten. Was mich besonders beeindruckte, war nicht nur die Musik selbst, sondern die Dialoge, die sie anstieß – zwischen Komponist_innen und Publikum, zwischen Tradition und Innovation, zwischen verschiedenen Kontinenten. Nach den Aufführungen wurde angeregt diskutiert, Eindrücke wurden ausgetauscht, Melodien leise nachgesummt. In einer Stadt, die sich ständig neu erfindet, hatten diese kleinen Momente des Zuhörens und Austauschs eine besondere Intensität.

Wenn Musik tatsächlich die Umgebung widerspiegelt, aus der sie stammt, dann war Bogotá nicht nur der Schauplatz, sondern ein Spiegel. Dieses Festival, mit seiner Offenheit und Vielfalt, wurde zu einer Landkarte Amerikas – kein starres Abbild, sondern ein lebendiges Terrain aus Klang, Erinnerung und Wandel.

Das nächste Festival findet vom 24. bis 27. März 2027 unter dem Motto „Beethoven 200“ statt!

Mobiltäten zu Partnerinstitutionen in Kolumbien oder anderen Destinationen in Südamerika sind im Rahmen des Erasmus+-Programms möglich. Mehr Informationen dazu finden Sie auf der Website des International Office der mdw.
mdw.ac.at/internationaloffice

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