Bettina Schuster studierte Musikwissenschaft und Internationale Literaturen an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Dort war sie als wissenschaftliche Hilfskraft in den DFG-Forschungsprojekten Der Briefwechsel Alma Mahler – Walter Gropius 1910–1964: Erschließung der Quellen und kommentierte Hybrid-Edition. Teil 1: 1910–1914 (2019–2023; Leitung: Prof. Dr. Jörg Rothkamm und Dr. Annemarie Jaeggi) und Erschließung mittelalterlicher Musik-Fragmente aus württembergischen Klöstern im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (2020–2022; Leitung: Prof. Dr. Stefan Morent) tätig. Im Dezember 2022 schloss sie ihren Master mit der Arbeit Alma Schindler-Mahlers Lieder und Liedpublikationen. Entwurf eines wissenschaftlichen Werkverzeichnisses ab. Seit Jänner 2023 ist sie PraeDoc-Mitarbeiterin im laufenden FWF-Forschungsprojekt Musikerfamilien: Konstellationen und Konzepte (Leitung: Prof. Dr. Melanie Unseld) und widmet sich in diesem Rahmen der Musikerfamilie Rosé/Mahler.

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Öffentliche Wahrnehmung und (Selbst-)Inszenierung der Musikerfamilie Rosé/Mahler

Schlägt man lexikalische Personenartikel in musikwissenschaftlichen Enzyklopädien auf, begegnet man zahlreichen Musikerfamilien. Als prägendes Phänomen der europäischen Musikkultur erscheint der Begriff ‚Musikerfamilie‘ als wirkmächtige, positiv konnotierte biographische Beschreibungskategorie. Doch die weitgehend unhinterfragte, undifferenzierte Verwendung des Begriffs wird der Komplexität des historischen Phänomens nicht gerecht und entzieht sich einer belastbaren historischen Aussagekraft. Eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit den Konzepten des Familialen und ihren Wandlungsprozessen ist in der Musikwissenschaft bislang annähernd ausgeblieben. An dieser Forschungslücke setzt meine Dissertation zur Musikerfamilie Rosé/Mahler an. Im Untersuchungszeitraum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wirkte das Ideal der ‚bürgerlichen Kernfamilie‘ als vorherrschende Norm, erfuhr jedoch in der gelebten Realität vielfältige Brechungen. Aufbauend auf Erkenntnissen der jüngeren geschichtswissenschaftlichen Familienforschung, die zu erheblichen Korrekturen in der Vorstellung des Familialen geführt hat, untersuche ich, ob und inwiefern sich die Familie Rosé/Mahler am bürgerlichen Familienideal orientiert hat – sowohl in ihrer Selbstinszenierung als auch in der öffentlichen Wahrnehmung im Spannungsfeld von Bürgertum, Künstlertum und familialen Normen.

Drei zentrale Fragen strukturieren meine Arbeit: Zunächst frage ich nach den gesellschaftlichen und musikkulturellen Kontexten, unter denen sich die Familie zu einer Musikerfamilie entwickelt hat (wie der Zugang zu Aus-/Bildung und Professionalisierung, Netzwerke und Förderung, Judentum und Konversion). Dann analysiere ich Deutungs- und Beschreibungsmuster, mit denen die Familie in publizistischen Quellen dargestellt wurde. Schließlich stehen die Strategien familialer Selbstpositionierung im Kontext der konkurrierenden Diskurse über Kunst, Familie und Bürgerlichkeit im Fokus. Um der Quellenvielfalt und Interdisziplinarität des Vorhabens gerecht zu werden, verbinde ich u. a. kultur- und sozialhistorische Perspektiven, Zugänge der musikwissenschaftlichen Netzwerk- und Genderforschung sowie historiographische Ansätze. Ziel ist es, musikhistorische Selbst- und Fremdbilder kritisch zu reflektieren und zur Etablierung einer musikwissenschaftlichen Familienforschung beizutragen.