In der Musik des österreichischen Komponisten Hanns Eisler (1898–1962) spielt eine entschlossene Ablehnung des Krieges eine auffällige und durchgängig präsente Rolle. Nicht zuletzt durch das eigene Kriegserlebnis bedingt (Eisler war als Achtzehnjähriger in den Ersten Weltkrieg eingezogen worden) erscheint die Anklage des Krieges schon in seinen frühesten Liedern. Der pazifistische Appell durchzieht in der Folge sein jahrzehntelanges Schaffen und erscheint noch prominent im Schlussabschnitt seiner Deutschen Sinfonie. Für Eisler (und für viele seiner Generation) war sein politisches Engagement auf der Seite des Kommunismus untrennbar mit diesem Antikriegsappell und mit dem Protest gegen den Krieg verbunden. Die dabei früh auftauchenden Widersprüche waren ihm durchaus klar, er war jedoch nicht dazu bereit, deswegen seine grundsätzliche Haltung aufzugeben.

Eisler war aber nicht nur ein deklariert politischer Komponist, sondern auch ein Schüler Arnold Schönbergs; damit gehörte auch die Auseinandersetzung mit den von Schönberg vertretenen Haltungen und kompositorischen Werten zu den für Eisler zeitlebens bestimmenden Faktoren. Es dürfte bekannt sein, dass es nicht zuletzt politische Motive waren, die Mitte der 1920er-Jahre zur jahrelangen Entfremdung zwischen Schüler und Lehrer geführt haben. Kurz gesagt konnte Schönberg nicht akzeptieren, welche kompositorischen Folgen das politische Engagement Eislers hatte. Eisler wiederum konnte Musik von Politik nicht mehr trennen. Trotzdem unternahm er wiederholt den Versuch, auch der Dodekafonik in seiner politisch engagierten Musik einen bestimmenden Platz zuzuweisen – dies übrigens in deutlicher Opposition zu den spätestens seit 1932 bestehenden Dogmen des sogenannten „sozialistischen Realismus“. Mit Bertolt Brecht war Eisler der Meinung, dass die „Weite der realistischen Schreibweise“ gerade auch avancierte Techniken beinhalten müsse. Alle, die Eisler heute noch eine unkritische Befolgung der kommunistischen Doktrin, ja des Stalinismus vorwerfen, sollten sich die in diesem Kontext entstandenen Werke Eislers und auch seine Beiträge zur sogenannten „Expressionismusdebatte“ einmal näher ansehen. Die bekanntlich schwierige Situation Eislers in der DDR lässt sich auch auf seine Opposition gegen die Gebote des sozialistischen Realismus zurückführen.

Er wollte nach eigener Aussage Schönbergs Zwölftontechnik „vom Kopf auf die Füße“ stellen, sie damit auch der engagierten und „angewandten“ Musik zugänglich machen. Das 1936 entstandene Chorwerk Gegen den Krieg (Text von Bert Brecht) kann dies illustrieren.

In insgesamt 24 Variationen wird hier eine Fülle von Verfahrensweisen im Umgang mit einer Reihe vorgeführt. Bereits die Gestaltung der Reihe selbst demonstriert die Besonderheit von Eislers Zugang.

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Eislers Reihe betont deutlich traditionell tonale Aspekte: drei aufsteigende kleine Terzen zu Beginn, eine Leittonwendung am melodischen Höhepunkt und am Ende eine absteigende große Sext als Umkehrung der strukturbestimmenden kleinen Terz als auffälligster melodischer Schritt. Die Wiederholung dieser Schlusswendung aus absteigender Sext und Leittonschritt beim ersten Erscheinen der Reihe betont die strukturelle Bedeutung dieser auch für die Hörenden auffälligsten Passage. Dieser offensichtliche „Regelbruch“ steht in engem Zusammenhang zum Text: Brecht proklamiert die gleiche Betroffenheit von Siegern und Besiegten. Mit geringfügigen, nur durch das genaue Eingehen auf den Text begründeten Abweichungen wird die Reihe im Rahmen des Themas insgesamt drei Mal präsentiert. Damit entsteht auch für die „Nur-Hörenden“ die Möglichkeit, sich ihre strukturbestimmenden Charakteristika einzuprägen.

In den Variationen verwendet Eisler die Reihe und ihre Grundformen (Umkehrung, Krebs, Krebsumkehrung), transponiert sie aber nicht, was die Wiedererkennbarkeit der erwähnten Strukturen erleichtert. In der zweiten Variation wird beispielsweise die melodische Kleinterzstruktur der Reihe zur homophonen harmonischen Akkordbildung genützt. Die achte Variation lässt die Reihe in Originalgestalt erneut einstimmig erklingen, jedoch diesmal rhythmisch variiert. Die darauf folgenden zwei Variationen verarbeiten die Reihe bei Beibehaltung dieser rhythmischen Gestalt fugiert in Stimmpaaren, Variation neun in der Grundgestalt, Variation zehn in der Umkehrung. Die Wiederholung der Schlusswendung am Ende der zehnten Variation hat wiederum semantische Funktion und betrifft „unser Blut“, das gemeint sei „wenn die Ob’ren von Opfern sprechen“. Die Variationen elf bis dreizehn („Sie reden wieder von Siegen, von Ehre …“), als „Intermezzo“ bezeichnet, sind wesentlich freier gebaut und lassen die Reihe nur am Beginn deutlicher durchscheinen. Die Abweichung vom Material wird auch in der folgenden Variation („Wenn es zum Marschieren kommt“) fortgesetzt. Die Primitivität des Beschriebenen findet hier Entsprechung im auf lediglich zwei Töne begrenzten melodischen Material am Ende der Variation. Dieses Zweitonmaterial wird auch in der Folge semantisch eingesetzt, etwa am Ende von Variation neunzehn im Zusammenhang mit den rauchenden Schloten der Munitionsfabriken und am Schluss der Coda, in den letzten Worten des Texts („… ist nicht unser Krieg“). Wo in der 14. Variation von der Stimme der Befehlenden als der des eigentlichen Feindes gesprochen wird, erscheint die Reihe nur in einer unvollständigen Umkehrung. Die Variationen 15 bis 17 sind auch „lehrstückartig“ angelegt: eine Sprechstimme (Anweisung: „Vernünftig sprechen, nicht brüllen!“) wird aus dem Chor herausgelöst und bringt die „Losung“, nämlich den Appell an den Menschen, dessen Verweigerung den Krieg unmöglich machen würde.

Ähnliche Bezugnahmen auf traditionelle tonale Verhältnisse sind bei Eisler vielfach, auch in der Deutschen Sinfonie und in der Reihe der „Kammerkantaten“ festzustellen. Unmissverständlicher Protest schließt also eine kompositorisch elaborierte Umsetzung nicht aus.

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