Stärkung des Wohlbefindens, Ablenkung von Krankheit und Sorgen, Burnout-Prävention, Verminderung des Stress-Levels: Musik im Gesundheitsbereich hat vielfache Wirkungen. Die mdw ist durch ihre Lehrenden und Studierenden an diversen Musik- und Forschungsprojekten im Gesundheitsbereich beteiligt. Das mdw-Magazin beleuchtet drei dieser Projekte, in denen sich die gesundheitsfördernde Wirkung von Musik besonders entfaltet und emotionale Verbindungen zwischen den Beteiligten durch gemeinsames Musikerleben geschaffen und gestärkt werden.
© Magdalena Bork

Im internationalen Forschungsprojekt ProMiMiC (Professional Excellence in Meaningful Music in Healthcare) wird an mehreren europäischen Standorten der Einsatz von personenzentrierter Musik in Krankenhausstationen in den Mittelpunkt gestellt. Das Vorläuferprojekt MiMiC (Meaningful Music in Healthcare) wurde von 2015 bis 2017 in Groningen durchgeführt und die Ergebnisse zeigten unter anderem, dass sich durch personenzentrierte Musik das Wohlbefinden der Patient_innen steigerte und sich für Krankenhauspersonal und die Musiker_innen Möglichkeiten zur professionellen Weiterentwicklung auftaten. Im Nachfolgeprojekt ProMiMiC werden je nach Projektstandort (Wien, Groningen, Den Haag, London) die Forschungen zum interprofessionellen Lernen vertieft, in Wien etwa das Lernen von Musiktherapeut_innen und Musiker_innen voneinander.

„Personenzentrierte Musik bedeutet, dass Patient_innen und Krankenhauspersonal sich selbst in die Entstehung der Musik einbringen. Die Musiker_innen improvisieren musikalisch auf spontan geäußerte Stimmungsbilder oder arrangieren eigens Stücke. Die Patient_innen und das Personal empfinden das als überaus persönliches Geschenk und die Musiker_innen lernen durch die Interaktion viel für ihre künstlerische Praxis,“ erklärt Magdalena Bork, wissenschaftliche Mitarbeiterin von ProMiMiC an der mdw. In Wien fanden die an mehreren Tagen hintereinander stattfindenden Musiksessions auf der Radioonkologie des AKH statt. Das Ensemble, bestehend aus zwei Instrumentalmusiker_innen und einer Musikertherapeutin, wird neben Magdalena Bork für die wissenschaftliche Dokumentation auch von der Koordinatorin Laura Bezold begleitet, die unter anderem den Kontakt zum Krankenhauspublikum herstellt. Anfangs sind manche Patient_innen und das Krankenhauspersonal durchaus skeptisch. Patient_innen fühlen sich durch ihre Krankheit in ihrem Erscheinungsbild oft nicht wohl genug, um fremde Menschen zu empfangen. Das Personal befürchtet, dass ihre Abläufe gestört werden könnten. Jedoch wurden diese Ängste bald abgebaut. „Durch die Interaktion mit den Musiker_innen erlebt das Personal seine Patient_innen von einer neuen Seite. Das musikalische Angebot – es wird bewusst nicht als Musiktherapie bezeichnet – bringt etwas Leichtigkeit in den Stationsalltag und rückt Themen wie Schmerzen, Medikamente, Organisationsprobleme und Tod für kurze Zeit etwas aus dem Blickfeld“, sagt Thomas Stegemann, Leiter des Instituts für Musiktherapie und ProMiMiC-Projektleiter an der mdw.

Das Ensemble greift einerseits auf bekanntes Repertoire zurück, aber Kern des Projekts sind musikalische Improvisationen, die Stimmungen, Ideen und Eindrücke des Krankenhauspublikums als Ausgangspunkt haben. Das hat sogar während der coronabedingten Lockdowns funktioniert, wo ein Zutritt zu Krankenhäusern strengen Auflagen unterlag. Laura Bezold kam mit einem Tablet und einer Lautsprecheranlage zu den Menschen auf die Station und die Musiker_innen wurden live aus einem Saal der mdw zugeschaltet. Selbst über die technische Barriere konnte die personenzentrierte Musik stattfinden und stieß auf besondere Wertschätzung in einer Zeit, in der es kein oder kaum musikalische Angebote gab. Dass die hybride Form des Projekts gut gelang, zeigt Ideen für die Zukunft auf. „Auf Stationen, wo die Hygienevorschriften und Zutrittsmöglichkeiten immer sehr streng sind, können musikalische Projekte über diese technische Möglichkeit zu den Patient_innen vordringen,“ sagt Laura Bezold.

© Magdalena Bork

Die Lerneffekte für die Musiker_innen sind durch das außergewöhliche Konzertsetting groß, da sie hautnah erleben, welche Emotionen ihre Musik auslösen kann. Die Musiker_innen sind auch darin gefordert, ihre Denkmuster zu hinterfragen. „Leistungs- und Perfektionsdenken sind bei dieser musikalischen Praxis nicht zentral. Die Musiker_innen lernen dies hintanzustellen und sich ganz auf den Moment und die individuellen Bedürfnisse ihres Publikums einzulassen“, so Bork. Innerhalb des Ensembles sind die jeweiligen Perspektiven lehrreich: Der/die Musiktherapeut_in lernt von den Instrumentalmusiker_innen, sich mit dem Instrument vor Publikum zu präsentieren und den Auftritt gemeinsam vorzubereiten, was in einer Therapieeinheit nicht üblich ist. Die Musiker_innen wiederum werden von den Therapeut_innen im achtsamen Umgang mit Patient_innen und Personal geschult und lernen, die Sessions zu moderieren.

An der mdw wird ProMiMiC als Wahlfach für die Studierenden angeboten. Zentral ist, ein ansprechendes Lernsetting für Studierende zu schaffen und in weiterer Folge ein Tätigkeitsfeld für Musiker_innen im Gesundheitsbereich zu entwickeln. „Ein ausgeprägtes soziales Gespür mit dem nötigen Maß an Offenheit und Neugier sind für diesen Tätigkeitsbereich essenziell. Auch das können Studierende trainieren, genauso wie musikalische Exzellenz“, betont Bork. Felix Vermeirsch, mdw-Studierender des Konzertfaches Violoncello, der an den ProMiMiC-Sessions mit Studierenden teilnahm, meint dazu: „In der heutigen Musikszene ist mir oft aufgefallen, dass wenig darüber nachgedacht wird, wie das Publikum die Musik erlebt. Bei ProMiMiC sind die Kommunikation und Wahrnehmung des Publikums entscheidend. Ich habe enorm viel darüber gelernt, wie die Brücke von Musiker_innen zu Zuhörenden bzw. Patient_innen geschlagen wird, was eine große Bereicherung für mein zukünftiges Berufsleben ist.“

© Magdalena Bork

Welche Bereicherung durch Live-Musikprojekte das Personal in Krankenhaus- und Pflegestationen in seinem Berufsalltag erfährt, hat Krista de Wit in ihrer PhD-Arbeit untersucht. „Die Musiker_innen spielen auch für das Personal, das dadurch für kurze Zeit in den Moment zurückgeholt wird. Das bietet mentale Entlastung im überaus hektischen Alltag und kann letztlich eine Rolle in der Burnout-Prävention spielen“, so de Wit (siehe Interview).

Im-Moment-Sein ist auch ein zentraler Punkt in der neuen Konzertreihe des Musikvereins Souvenir – Konzerte für Menschen mit und ohne Demenz. An sechs Terminen in der aktuellen Saison bespielen zwei mdw-Klaviertrios den Brahms-Saal im Musikverein. Moderiert werden die Konzerte von der mdw-Lehrenden Veronika Mandl, die durch ihre Tätigkeit als CliniClown bereits Erfahrung im Umgang mit demenzbetroffenen Menschen hat. Jeder Konzerttermin steht unter einem Motto, zu dem passende Stücke ausgewählt werden. Ziel ist es, Stimmungen, Erinnerungen und Gefühle der Menschen mit Demenz anzuregen. „Liebe ist beispielsweise ein großes Thema bei älteren Menschen – sei es die Erinnerung an die Jugendliebe oder die Liebe zu den Kindern. Die Musik dockt in verschiedenen Gehirnarealen gleichzeitig an, so kann vieles bei den demenzbetroffenen Menschen wachgerufen werden“, erklärt Veronika Mandl. Die Konzertreihe ist aber nicht als therapeutisches, sondern als musikalisches Angebot zu verstehen. Ein Publikum mit großteils demenzbetroffenen Menschen unterscheidet sich in den Anforderungen und dem Ablauf zu anderen Konzerten. Die Musik kann spontane Reaktionen bei den demenzbetroffenen Besucher_innen auslösen: Sie singen mit, rufen hinaus oder haben das Bedürfnis aufzustehen oder den Saal zu verlassen. Im Musikverein wird ein Rahmen geschaffen, damit dies ohne Probleme möglich ist, etwa indem die Sitzreihen in größeren Abstand zueinanderstehen und das Saalpersonal auf die möglichen Situationen vorbereitet wird. Vorbereitung ist auch für die mdw-Musiker_innen essenziell, daher wurden sie von der Caritas im Umgang mit Demenzbetroffenen geschult, um sich auf Unvorhergesehenes einlassen zu können. Gelingt dies, ergeben sich wichtige Lerneffekte, da Äußerungen und Reaktionen aus dem Publikum die Improvisationskunst schulen. „Aus jedem Konzert werden die Beteiligten vor, auf und hinter der Bühne beglückt und beschenkt herausgehen“, ist Mandl überzeugt. „Demenz betrifft viele Menschen und ist ein sehr schambesetztes Thema. In der Konzertreihe geht es nicht darum, was die Menschen mit Demenz nicht mehr können, das ist defizitorientiertes Denken, sondern nur darum, was da ist. Mit Musik können wir das erreichen“, sagt Mandl. Für die Angehörigen, die bewusst als Zielgruppe des Konzepts angesprochen werden, sind die Konzerte wunderbare Gelegenheiten in einem auf die Bedürfnisse der demenzbetroffenen Menschen abgestimmten Rahmen etwas gemeinsam zu unternehmen und dabei nicht auf Unverständnis von anderen zu stoßen, da in üblichen Konzertformaten ein stilles, lauschendes Publikum erwartet wird.

© Igor Ripak/Musikverein Wien

Wenn das Publikum nicht mobil ist, kann und muss die Musik zu ihnen kommen. Die mdw bringt in einer Kooperation mit dem Wiener Gesundheitsverbund Musik direkt an die Betten der Patient_innen und an den Arbeitsplatz des Krankenhauspersonals in der Klinik Floridsdorf. Die Kooperation ist ein zentrales Anliegen der mdw im Rahmen der Entwicklung und Erschließung der Künste mit dem Ziel des Hineinwirkens in die Gesellschaft durch Kunst. „Der mdw ist es wichtig, dass junge Künstler_innen ein Gespür dafür entwickeln, für wen sie spielen und dass es dabei nicht nur um sie selbst geht, sondern vor allem um die Menschen, die ihnen zuhören. Künstlerische Ausbildung auf Spitzenniveau und die Entwicklung eines sozialen Bewusstseins gehören an der mdw zusammen“, sagt Johannes Meissl, Vizerektor für Internationales und Kunst. Das kommende Weihnachtsspecial mit einem Programm der Young Masters der mdw sowie die vergangenen Streamingkonzerte der Kooperation können in der mdwMediathek abgerufen werden.

ProMiMiC-Präsentation am 21. 4. 2023 an der mdw
mdw.ac.at/promimic/

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