Resilienz ist nicht neu

Die Herausforderung bei einer Hinführung zum Begriff der Resilienz liegt besonders in seiner Unschärfe und der Verwendung in unterschiedlichen, nicht nur wissenschaftlichen Bereichen. Resilienz als Phänomen selbst ist dabei eigentlich nicht neu, interessierte sich die Menschheit doch schon immer dafür, wie man Schwierigkeiten oder Krisen gut bewältigt – die meisten Held_innengeschichten handeln davon.

Oft wird Resilienz sinnbildlich wie ein Baum im Wind dargestellt, der biegsam, aber standhaft den Kräften der Natur entgegenhält. Aus der griechischen Philosophie ist das Bild vom Steuernden, der das Schiff und damit das eigene Leben auch in stürmischen Zeiten sicher durch das Wasser bringt und somit widerstandsfähig gegenüber Krisen ist, bekannt.

Elastischer Mensch?

Neu ist eher die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema in verschiedenen Disziplinen (von Psychologie über Ingenieurwissenschaften bis hin zu Ökologie, Computerwissenschaft und vielen mehr). Abgeleitet von dem lateinischen „resilire“ = zurückprallen bzw. für „Spannkraft, Elastizität, Strapazierfähigkeit“ stehend, wurde der Begriff eigentlich aus der physikalischen Materialkunde entlehnt. Dort beschreibt er die Beschaffenheit von bestimmten Elementen, die auch nach extremen Außeneinwirkungen in ihre Ausgangsform zurückspringen („bounce back“). Im psychologischen Diskurs wird Resilienz als Fähigkeit eines Individuums definiert, erfolgreich mit Belastungen und negativen Stressfolgen umgehen zu können. Synonym werden oft Begriffe wie Stressresistenz, psychische Robustheit oder psychische Elastizität verwendet. Das Gegenstück zur Resilienz ist die Vulnerabilität, also Verwundbarkeit, Verletzbarkeit oder Empfindlichkeit gegenüber äußeren (ungünstigen) Einflussfaktoren.

Historisch ist in der psychologischen Resilienzforschung die sogenannte Kauai-Studie von Emmy Werner und Ruth Smith zu nennen:1 Die Forscherinnen begannen 1955 in Kauai (Hawaii) eine Längsschnittstudie und begleiteten 698 Kinder über 40 Jahre lang. Die Studie zeigte folgende Ergebnisse: Menschen, die in vergleichbaren Umwelten aufwachsen und Risikofaktoren wie Armut, Gewalt oder geringen Bildungschancen ausgesetzt waren, können sich als Erwachsene auf der Basis spezifischer Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensweisen dennoch positiv entwickeln. Weitere sozialwissenschaftliche Forschungen erfolgten, die eben diese Schutzfaktoren herausarbeiteten.

Resilienz als erlernbare Kompetenz oder individuelle Herausforderung

Resilienz umfasst nach heutigen Erkenntnissen2 ein hochkomplexes Zusammenspiel von Merkmalen der Person und ihrer Lebensumwelt, von konstitutionellen, erlernten und anderweitig verfügbaren Ressourcen. Es wird davon ausgegangen3, dass Resilienz im Gegensatz zu Intelligenz mit speziellen Trainings weiterentwickelt werden kann, wobei dabei meist auf die Stärkung der internalen und teilweise externalen Ressourcen gesetzt wird.

Die Gefahr bei einer Definition, die stark auf das Erlernen von Kompetenzen zielt, besteht aber wie bei vielen anderen präventiven (Gesundheits-)Maßnahmen in einer neoliberalen Logik der Selbstoptimierung: Wenn Resilienz nun erlernbar ist, liegt es dann nicht am individuellen „Scheitern“ und einer Unfähigkeit, wenn Belastungen nicht gut verarbeitet werden? Dies kann schließlich erlernt werden.

Resilienz ist auch spätestens en vogue, seitdem sich der Gesundheitsbegriff politisch gewandelt hat. Die heutige WHO-Definition sieht Gesundheit als Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. Seit der Ottawa-Charta der WHO 1986 sollen Gesundheitssysteme über die Behandlung von Krankheiten hinaus ausgeweitet werden und auf Gesundheitskompetenz, Gesundheitsförderung und Prävention als ein breites, positives Konzept (Salutogenese) fokussieren4. Weg von einem pathogenetischen Fokus, der auf krank machende Faktoren schaut. 2020 wurde dies in Form der Sustainable Development Goals (SDGs) der UN in der Agenda 2030 ebenfalls aufgegriffen, sogar mit dem Schwerpunkt, Wohlbefinden und die psychische Gesundheit zu stärken. Resilienz ist dabei ein zentrales Konzept, so wie es einst Anti-Rauch- oder Anti-Zucker-Kampagnen der Krankenkassen waren. Die andere Seite der Medaille ist, dass Lungenkrebs oder Zuckerkrankheiten damit zu individuellen Problemen deklariert werden und die systemische Beteiligung verneint wird. Dass Krankenkassen jetzt Gesundheitskassen heißen, ändert dabei oft nichts an dieser Haltung.

„Posttraumatisches Wachstum“

Um von Resilienz überhaupt sprechen zu können, müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein: Zum einen muss eine belastende Situation vorliegen, die zum anderen erfolgreich bewältigt worden ist. Wir können resilientes Verhalten also nicht vorhersagen. Und es bezieht sich selten auf alle Lebensbereiche, geschweige denn, dass es ein stabiles Konstrukt ist – es ist vielmehr ein schwer greifbares. Es lässt sich allerdings auch festhalten, dass Menschen, die traumatische Erlebnisse durchgemacht haben, oft von sogenanntem „posttraumatischem Wachstum“ berichten: Laut Tedeschi berichten 70 Prozent der Menschen, die eine tiefgreifende Krise durchlebt haben, dadurch langfristig zufriedener und stärker geworden zu sein.5

Diese schmerzvollen Rückschläge und Erfahrungen verschafften betroffenen Personen teilweise Klarheit über die eigene Lebensausrichtung. Sie berichteten über eine intensivere Wertschätzung des Lebens, eine Intensivierung der persönlichen Beziehungen und des spirituellen Bewusstseins sowie eine Bewusstwerdung der eigenen Stärken und die Entdeckung von neuen Möglichkeiten im Leben. Der Anstoß dafür, sich mit grundlegenden Überzeugungen des eigenen Lebens und damit der Frage nach der Sinnhaftigkeit auseinanderzusetzen, ist oft ein erschütterndes Ereignis.6 In kritischen Momenten kommen Zweifel an grundlegenden Werten und dem eigenen Fundament besonders hervor und ermöglichen Gelegenheit für Wachstum und Lernen, weil neue Antworten gefunden werden müssen auf Fragen, ob beispielsweise die eigene Weltanschauung auch in Zeiten des Leids und der Krise trägt.

Die Prüfung der Welt

Laut UN-Generalsekretär António Guterres steht die Menschheit durch Covid-19 vor der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Coronapandemie avanciert damit zur größten Prüfung, die die Welt seit der Gründung der Vereinten Nationen vor 75 Jahren durchlaufe.7 Es bleibt die Hoffnung, dass sich der Fokus nun von einer Individualperspektive auf eine globale verschiebt. Guterres sagt auch, dass jetzt ein Zeitpunkt der Wahl sei: Ist die Krise einmal überstanden, kann sich die Weltgesellschaft entscheiden, ob sie zu einem Status quo (ante Corona) zurückkehren will, oder ob die Dinge, die die Welt für Pandemien verwundbar machen, entschieden angegangen werden. Die eingangs erwähnte Definition von Material oder Mensch, der/das auch nach extremen Außeneinwirkungen in seine Ausgangsform zurückspringt („bounce back“), muss daher ebenso entschieden überdacht werden wie die Annahme, dass Menschen nicht verwundbar seien. Es liegt in der Dualität der Menschen, dass sie beides sind: empfindlich, verletzlich, verwundbar (etwa angesichts von Naturkatastrophen), sich ihrer Sterblichkeit bewusst. Und resilient, wenn sie es sein müssen.

  1. Werner, E. (1971): „The Children of Kauai: A Longitudinal Study from the Prenatal Period to Age Ten“. Honolulu: University of Hawaii Press.
  2. Wustmann, C. (2014): „Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern“. Mülheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr.
  3. Mourlane, D. (2012): „Resilienz. Die unentdeckte Fähigkeit der wirklich Erfolgreichen“. 1. Aufl. Göttingen: BusinessVillage GmbH.
  4. Antonovsky, A. (1997): „Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit“. Tübingen: dgvt-Verlag.
  5. Tedeschi, R.G. & Calhoun, L.G. (2004): „Posttraumatic Growth: Conceptual Foundation and Empirical Evidence“. Philadelphia, PA: Lawrence Erlbaum Associates.
  6. Schnell, T. (2020): „Psychologie des Lebenssinns“. Berlin, New York, Tokio, Heidelberg: Springer.
  7. https://www.un.org/Depts/german/gs/COVID-19_shared_responsibility_global_solidarity_report-DEU.pdf [23. 7. 2021]
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