Der nun folgende Text war am 5. März fertig, als das Coronavirus sich auch in Österreich unübersehbar bemerkbar machte, aber unseren Alltag noch nicht völlig bestimmte. Eine Woche nach Abgabe wurden radikale Maßnahmen angekündigt, von denen in der ersten Textversion noch ausschließlich im Zusammenhang mit der Klimakrise die Rede war. Nun werden wir über Klima und Corona zusammen nachdenken müssen.

Bertolt Brecht schrieb über die finsteren Zeiten der Nazi-Diktatur in seinem Gedicht An die Nachgeborenen:

„Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist,
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Zu befürchten ist, dass unsere Nachgeborenen in Zeiten leben werden, in denen ein Gespräch über Bäume vor allem Nostalgie ist. Wir stehen nicht nur vor einer Klimakrise, denn Krisen können gut ausgehen, sondern vor einer Klimakatastrophe und vor der Frage, ob wir etwas tun können, um das Allerschlimmste noch zu verhindern – oder wenigstens zu verzögern. Ich persönlich zweifle an der Fähigkeit unseres Wirtschaftssystems, sich angemessen zu den komplexen Kettenreaktionen zu verhalten, die längst im Gang sind. Aber das ist kein Grund, nicht so zu handeln, als gäbe es noch Hoffnung.

Eine Kunstuniversität fackelt keine Wälder ab, aber unsere Arbeit verbraucht viel fossile Energie, unter anderem weil wir so viel reisen. Natürlich kann und muss man Flüge durch CO2-Abgaben kompensieren, und es gibt mittlerweile, z. B. an mehreren Berliner Universitäten, Selbstverpflichtungen von Wissenschafter_innen, klimafreundlicher zu reisen: auf Strecken bis zu 1000 km nicht mehr zu fliegen, wenn die Reise im Zug nicht mehr als 12 Stunden dauert. Dies ist lobenswert, nachzuahmen und in Vorschriften für Dienstreisen unbedingt zu berücksichtigen.

Sinnvoller, als weniger klimaschädlich zu reisen oder Konferenzen klimaverträglicher zu gestalten, wäre es bekanntlich, unnötige Reisen ganz zu vermeiden. Nur – wer bestimmt, welche Reisen unnötig sind? Scherzhaft wird in meinem Umkreis des Öfteren davon gesprochen, wie schön es wäre, regelmäßig ein kongressfreies Jahr einzulegen, dann hätte man Gelegenheit, sich auf neue Themen einzulassen oder wenigstens Altschulden abzuarbeiten. Leisten könnten sich das im Moment allenfalls ältere Semester in sicheren Positionen. Für die Jüngeren muss es beim Gedankenspiel bleiben, wenn sich die Kriterien für Qualitätsbewertungen nicht ändern. Noch ist eine Bewerbung ohne Nachweis von Kongressbesuchen oder Studium oder Lehre im Ausland chancenlos, und je öfter und je weiter gereist wird, desto besser.

Lassen sich Reisen im Wissenschaftsbetrieb vermeiden? Übertragungen von Vorträgen im Internet können sehr attraktiv sein, wie die TED-Vorlesungen beweisen, Gespräche in kleineren Gruppen lassen sich durch Videokonferenzen ersetzen. Und Online-Veranstaltungen im Musikbereich fanden schon statt und werden sicher häufiger werden, wenn wohl auch nie so beliebt wie Online-Seminare für die Anlage von Schwimmteichen oder zur Selbstfindung oder die Katzenkongresse, die alle auf der Ergebnisliste meiner Suche viel früher aufscheinen. Noch ist mir aber nicht klar, wie man eine wesentliche Komponente von Konferenzen ersetzen könnte, nämlich die informellen Gespräche am Rande (oder anstelle) der Vorträge, aus denen oft die interessantesten Ideen hervorgehen. Und ich muss gestehen, dass mir die Erasmus-Lehraufenthalte mit der damit verbundenen Kontaktpflege sehr fehlen würden, obwohl mir klar ist, dass es eigentlich ein Wahnsinn ist, dafür z. B. nach Norwegen zu fliegen.

Ich persönlich reagiere auf die Suche nach anderen Möglichkeiten des internationalen Austauschs mit dem nicht eben originellen Einfall, der auf Konkurrenz angelegte Wissenschaftsbetrieb sei so eingefahren, dass er schwer zu ändern sein werde. Und dann kommt mir gleich der Gedanke, was alles schon möglich war, welch unbegreifliche Bereitschaft zum Verzicht sich Gesellschaften immer wieder zugemutet haben, aber, soweit ich weiß, nur, wenn Krieg herrschte – als wären radikale Änderungen von Gewohnheiten, Solidarität und Mut nur denkbar im Furor gegen angebliche Feinde von außen.

Radikale Änderungen kommen aber ohnehin auf uns zu, die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann und wie. Die optimistische Sichtweise heißt, dass sich sehr vieles ändern muss, damit wenigstens einiges so bleibt, wie es ist. Die pessimistische: Dass sich niemand mehr für unsere Wissenschaft interessieren wird, wenn es zu Verteilungskriegen kommt oder wenn die Erderhitzung Methan in größeren Mengen freisetzt oder sich der Sauerstoffgehalt der Luft wegen sterbender Blaualgen in den Meeren ändert.

Ich wäre gern optimistisch und würde gern mit einem flammenden Appell schließen, aber mir fehlt es an zündenden Ideen. Dass wir aber zusammen klüger sind, davon gehe ich doch zuversichtlich aus.

Nun, am 25. März, kommt es mir vor, als stamme dieser Text aus einer vergangenen Epoche. Wir haben unser Leben verändert – gründlicher und schneller, als es sich vor nur 20 Tagen die fröhlichsten Öko-Optimist_innen hätten wünschen können. Und erste Wirkungen zeigen sich bereits. Mit drastisch reduzierten Flügen und Autofahrten ist die Luftqualität auf dem ganzen Planeten merklich besser, die Venezianer sehen wieder Fische in ihren Kanälen, und selbst in Großstädten sind am Himmel mehr Sterne zu erkennen.

Und leider ist es ja so, dass viele dieser Änderungen nicht nachhaltig sind. Ausgangsbeschränkungen, Massenarbeitslosigkeit und plötzlichen Wirtschaftskollaps kann sich niemand wünschen. Aber es wäre schön, wenn der vorsichtige Weg ins Leben nach diesem Virus nicht zurück zur früheren Normalität führte. Wenn Berufe, die wirklich wichtig sind, auch wenn sie vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, nicht deutlich schlechter bezahlt würden als jene, die vor allem Schaden anrichten. Wenn man zu Zulassungsprüfungen nicht mehr um die halbe Welt fliegen müsste. Wenn wir nicht wieder zu so vielen Konferenzen wie möglich reisten, von denen viele ohne merklichen Qualitätsverlust auch online möglich wären. Wenn wir die Welt, das Berufsleben und den Wissenschaftsbetrieb nicht als Haifischbecken betrachten müssten. Wenn wir ein Grundeinkommen einführen könnten, das es allen, auch den Jüngeren, ermöglicht, in anderen Gewässern zu schwimmen. Wenn wir die aktuelle Krise nicht als Einzelfall verdrängen würden, sondern als Übung sähen auf dem Weg in ein ganz anderes Leben, das wegen der Klimakatastrophe auch ohne neue Pandemien nötig wird und wünschenswert ist.

 

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