Nun sind wir also mitten drin in diesem von den einen herbeigesehnten, von den anderen gefürchteten Jubiläumsjahr.

Auch die mdw setzt bereits seit Jänner starke Akzente zum großen Ludwig van, und das mit einer beeindruckenden Fülle und Bandbreite exzellenter Projekte. Ich bedanke mich beim Initiativteam am Haus, das über gut eineinhalb Jahre Denkvorarbeit geleistet, Projekte geschmiedet, Ideen eingesammelt und das Ganze dann in eine übersichtliche Struktur gebracht hat.

Wie bedeutend dieses Jahr in Deutschland ist, zeigt allein die Tatsache, dass die Aktivitäten zur Feier des 250. Geburtstags des Mannes aus Bonn schon 2016 von der deutschen Bundesregierung zur „nationalen Aufgabe“ erklärt und vom deutschen Bundestag mit einem beachtlichen Budget von 27 Millionen Euro ausgestattet wurden (leider haben uns die Kolleg_innen an Spree und Rhein dabei finanziell nicht mitbedacht, aber schließlich könnte es bei dieser „Haupt- und Staatsaktion“ ja ein wenig auch um die Rückeroberung eines Wahlwieners gehen).

Die Musikstadt Wien und ihre großen Wahlwiener: Was wären denn die Wiener Musikszenen seit ihren Anfängen ohne die Zugereisten gewesen? – Wären sie überhaupt jemals so entstanden? Jedenfalls macht die geradezu magnetische Anziehungskraft in Sachen Musik diese Stadt zu einer unfairen Gegnerin für alle herkunftsorientierten Vereinnahmungsbemühungen, andererseits ist das auch ein wenig bequem – es sind schließlich ja noch alle gerne gekommen …

Wie auch immer: Es gibt jetzt auch ein „offizielles“ Beethovenjahr in Wien, in das sich die mdw gerne einfügt – und vielleicht wird es ja, gerade weil es nicht generalstabsmäßig und von langer Hand kommunal oder vom Bund geplant wurde, eine anregende und im besten Sinn aufregende Zeit. Worum geht es uns jetzt also? Noch mehr Aufführungen der ohnehin den Kanon beherrschenden Werke dieses Herrn van Beethoven? Oder wollen wir versuchen, dieses Phänomen durch vielfältige Annäherungen ein wenig fassbarer zu machen?

Beethoven, wohl unbestritten einer der größten „Heroes“ und „Big Seller“ des Klassikbetriebs von dessen Anfängen an, ist zugleich der Komponist mit den unterschiedlichsten und in Rezeptions- sowie Vereinnahmungsgeschichte widersprüchlichsten Gesichtern. Als „Modell-Genie“ zwischen Idealismus und Romantik sowie kompromissloser Rebell gegen alle Konventionen (der sich aber gleichwohl vom Adel unterstützen lässt) wird er im 19. Jahrhundert zum Vollender der Wiener Klassik ernannt und bald erste Adresse, wenn Staatstragendes und Affirmatives gebraucht wurde und wird – egal ob von dem linken oder rechten Lager. Vollender vielleicht, jedenfalls aber Visionär und Experimentator mit dem Unmöglichen. Womöglich ist sein größter posthumer Erfolg, dass die Ode aus seiner 9. Symphonie als Hymne und Symbol für das europäische Friedensprojekt gewählt wurde. Wir sollten allerdings den Text ernster nehmen: „FREUDE, schöner Götterfunken!“

So viele Bilder, so viele Konstruktionen eines gewünschten oder dominanten Bildes dieses Künstlers im Lauf der Geschichte, so viel Information über ihn und sein Werk – das wirft unweigerlich die Frage danach auf, in welchen Fällen all diese Informationen (jenseits der in Notenschrift vorhandenen) essenziell, manchmal gar unabdingbar sind und wo sie eher in die Irre oder zu groben Missverständnissen führen können.

Natürlich ist Beethovens mangelnder kalligrafischer Ehrgeiz für uns Ausführende da keine Hilfe – anders als bei Bach oder Mozart kann man aus den von ihm mit Hand geschriebenen Partituren praktisch nicht spielen. Es bleibt uns die Möglichkeit, zwischen den „Urtextausgaben“ und den heute mehr als früher verfügbaren digitalisierten Versionen von Erstdrucken, Stimmenabschriften etc. unsere Entscheidungen selbst zu treffen. Manches Sforzando zum Beispiel rutscht so nach 20 Jahren überzeugter Platzierung wieder um eine Achtelnote vor oder zurück, mancher Punkt wird doch zum Strich, ein Legatobogen beginnt doch auf dem Schlag statt danach etc. Aber letztlich wollen wir doch den ganzen Beethoven erfassen – von allen möglichen Gesichtspunkten aus – und daher auch die verschiedensten „Beethovens“: Beethoven, den großen Welt-Umarmer, der nachweislich gröbere Schwierigkeiten im Umgang mit seiner direkten Umgebung hatte; den „Titan“ und Inbegriff des mit sich, mit dem Werk, mit der ungenügenden Mitwelt, ja mit „der Gottheit“ ringenden Künstlers; den peniblen Ausarbeiter und Konstrukteur – vor allem aber eines der größten Improvisationsgenies aller Zeiten; den geschickten Vermarkter seiner selbst; und natürlich den erfolgreichen Arbeitsmigranten!

Aber auch: Beethoven als Belastung für alle nach ihm? „Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen-Beethoven hinter sich marschieren hört.“ So ein anderer erfolgreich nach Wien Zugereister. – Er hat dann doch vier wunderbare Symphonien geschrieben, es konnte also nach Beethoven noch komponiert werden, bei aller Ehrfurcht.

Beethoven, all das und noch viel mehr, von uns an der mdw im Laufe des Jahres auf alle Widersprüchlichkeiten hin erforscht. Wir wollen also noch schlauer werden im Verständnis von Beethovens Inhalten, nicht zuletzt für unseren interpretatorischen Umgang mit seinem Werk! Und wir wollen ein Gefühl entwickeln und verstehen: Wer ist diese übergroße Figur und der gleichzeitig doch so allzu menschliche Mensch jetzt im 21. Jahrhundert für uns an der mdw, die wir auf höchster fachlicher Exzellenzstufe in einem Umfeld geprägt von Internationalität, gelebter Diversität und Transkulturalität mit überzeugter Ausrichtung auf Inklusion und soziale Relevanz studieren, lehren und forschen? Dazu stehen uns die verschiedensten Formate zur Verfügung: von Konzerten, Masterclasses und Vorträgen bis hin zu Ausstellungen, öffentlichen Seminaren, den Wiener Vorlesungen, einem großen Symposium und dem extra ein Jahr vorverlegten 16. Internationalen Beethoven Klavierwettbewerb. Für die Internet-Konzertplattform ARTE-Concert entstehen zudem hochprofessionelle Videoaufnahmen von den Aufführungen selten gespielter Werke Beethovens. Wir haben diese vielen spannenden Beiträge über das ganze Jahr in einem gut gestaffelten Ablauf verteilt und mit einem eigenen Design versehen. Informieren Sie sich unter mdw.ac.at/Beethoven2020 und begleiten Sie uns auf unseren Entdeckungsreisen, die wir in vielen Kooperationen mit zahlreichen internationalen Gästen und den bedeutendsten Wiener Kulturinstitutionen unternehmen!

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