Die mdw entsandte im April 2018 die zwei Professorinnen für darstellende Kunst Beverly Blankenship und Anna Maria Krassnigg an die ASEA-UNINET-­Partneruniversität Hanoi Academy of Theatre and ­Cinema, wo sie gemeinsam mit Studierenden eine konzentrierte Bühnenfassung von William Shakespeares Romeo und Julia entwickelten.

Die Basis für die Herausforderung, ein Kernstück europäischer Theaterliteratur in Vietnam mit Studierenden nicht nur in der Probenarbeit auszuloten, sondern auch als Produktion auf die Bühne zu bringen, wurde im Jahr 2014 von Beverly Blankenship gelegt. Ihre Kenntnis der Kultur des Landes im allgemeinen, aber auch im akademischen und künstlerischen Bereich war grundlegend für den Erfolg dieses Projekts, das eindrucksvoll gezeigt hat, dass internationaler Austausch – auch vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher künstlerischer Traditionen – nicht nur im Bereich der Musik, sondern auch in der darstellenden Kunst von höchstem Wert für alle Beteiligten sein kann.

Basierend auf dem stofflichen und sinnlichen Material von Romeo und Julia, ein Stück das in Vietnam durchaus bekannt ist, aber freilich dennoch weit außerhalb des traditionellen Kanons liegt, wurde von Beverly Blankenship in mehreren Workshops mittels Impulsarbeit sowie Rollen- und Ensemblearbeit die professionelle Grundlage für die konkrete Probenarbeit am Stück gelegt. Die Neugier seitens eines relevanten Teils des Lehrkörpers der Hanoi Academy of Drama and Cinema wie auch der Studierenden bildete den fruchtbaren Humus, um im April 2018 mit dem endgültigen Cast in einer vergleichsweise kurzen und sehr intensiven Probenphase zu einem Ergebnis zu gelangen, das nicht nur das kollegiale und akademische Publikum, sondern auch Vertreter_innen von ASEA-UNINET sowie des Goethe-Instituts und der österreichischen Botschaft in Staunen versetzte.

Die größte Herausforderung war erwartungsgemäß der Brückenschlag zwischen diametral entgegengesetzten kulturellen und künstlerischen Traditionen. Ein hohes Verständnis für Form, Körper, Ritual, Musikalität, aber auch ein zum Teil noch hierarchisches Prinzip der „Meisterlehre“ und selbstredend ein Mindestmaß an materiellen Mitteln auf der vietnamesischen Seite trafen auf die Anforderung, mit komplexen Texten und höchst anspruchsvollen, modernen Bühnencharakteren in zeitgenössischen Theater- und Erzählformen mit dem Maximum an individueller künstlerischer Ausdruckskraft eine lebendige Shakespeare-Interpretation auf der Höhe der Zeit zu kreieren.

Der unerschrockene Einsatz der vietnamesischen Studierenden, ihre erstaunliche Fähigkeit, couragiert aus der Mitte ihrer Emotionalität zu schöpfen, anstatt sich hinter theoretischen Konstrukten zu verstecken, ihre instinktive physische Ausdruckskraft, ihr Vermögen, nach dem Verlassen der Schutz- oder Komfortzone radikal Tiefen auszuloten, war beispielhaft und könnte auch für die westliche Theaterszene manch wesentlichen Aha-Moment auslösen.

Die größten Entwicklungssprünge waren in der genauen Text- und Interpretationsarbeit, im Ausloten der Möglichkeiten des Ensemblespiels – bereichert durch zeitgenössische Anwendung etwa der Tools von Konstantin S. Stanislawski, der Haltungen Max Reinhardts, der Raumarbeit Peter Brooks – sowie im Interagieren mit moderner Licht- und Tonregie zu verzeichnen. Die integrierte Arbeit vor der Kamera und mit Videos als zusätzlicher Spielebene hat den –durchwegs mit westlicher Filmästhetik vertrauten – Studierenden großen Spaß bereitet und ihnen neue Wege des dramatischen Erzählens eröffnet.

Entscheidend für das Gelingen des Projekts war zudem die exzellente Vorbereitung durch Kolleg_innen von den jeweiligen universitären Referaten für internationale Beziehungen sowie die tatkräftige Unterstützung durch die Rektorate der beiden Akademien.

Die Sprachbarriere wurde durch den unermüdlichen Einsatz einer renommierten vietnamesischen Regiekollegin, die als Dolmetscherin und Assistentin den sprachlichen und inhaltlichen Transfer vom Englischen ins Vietnamesische übernahm, auf souveräne Weise überbrückt, sodass am Ende ein mühelos und fließend miteinander arbeitendes Produktionsteam täglich erleben durfte, wie internationale Kooperationen nicht nur im universitären Bereich, sondern auch als Best-Practice-Beispiel für die professionelle Theaterszene funktionieren könnten.

Die Begeisterung über die tiefe Sinnhaftigkeit solcher Austauschprojekte ließ auf allen Seiten den Wunsch entstehen, diesen Weg weiterzugehen und unsere Verantwortung als nunmehr weltweit führende Kunstuniversität in diesem Sinn weiterhin wahrzunehmen. Die Möglichkeit durch Weitergabe künstlerischer Modelle und Mittel dazu beizutragen, einer an Inhalten, nicht aber an Mitteln reichen Theaterszene zu der Sichtbarkeit zu verhelfen, die sie verdient, erscheint zukunftsweisend: nicht nur für die vietnamesischen Partner_innen, sondern auch für unser Verständnis von zeitgenössischer darstellender Kunst. Insofern sind wir glücklich, mit dem erneut vom ASEA-UNINET unterstützten Folgeprojekt Macbeth in Hanoi diesen hochkarätigen internationalen Austausch weiter voranzutreiben.

Eine Kurzdokumentation der mdw begleitete die künstlerische Arbeit zu diesem Projekt und blickt hinter die Kulissen einer außergewöhnlichen Zusammenarbeit:

 

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