Es gibt kaum eine Form menschlicher Angst, die nicht schon im Kino für Thriller- oder Horrorfilme verwendet wurde. Von Höhenangst über den Verfolgungswahn bis hin zur Angst vor Haien, Aliens oder Spinnen hat sich die Filmindustrie alle denkbaren Varianten menschlicher Angst zunutze gemacht und als Unterhaltung verpackt. Es scheint ein Paradox zu sein, dass, obwohl die Angst als ein Gefühl des Entsetzens oder der Ausweglosigkeit erklärt werden kann, sich die Menschen dieser Empfindung freiwillig aussetzen möchten. Der Filmkritiker Georg Seeßlen meint dazu, es sei die Suche nach einem „Kick“, nach Lustgewinn, der einen Ausstieg aus dem Alltag bietet – und dieser Lustgewinn wird oft über „Filmangst“ erreicht. Man identifiziert sich mit den Filmfiguren und möchte die ganze Bandbreite ungewöhnlicher Situationen und daraus entstehender, zum Teil ganz „wilder“ Gefühle erleben. Die Zuschauer_innen haben Angst, obwohl sie nicht selbst betroffen sind. Darüber hinaus gibt es auch eine spezielle Art von Angst, die nicht die Filmheldinnen und -helden, sondern nur die Zuschauer_innen packt. Die Theorie bezeichnet das als „Tension“ und unterteilt dieses Phänomen in drei miteinander verbundenen Stufen: Surprise, Suspense und Mystery.

Angst Filmmusik
©Erik Witsoe / Unsplash

Egal mit welcher Art von filmischer Angst wir es zu tun haben, die Musik ist ein wichtiger Parameter ihrer „Erzeugung“. Dabei kann die Musik entweder direkt die Bilder und die Handlung unterstützen oder ganz umgekehrt, gegen die Bilder, als Kontrast und Kontrapunkt eingesetzt werden. Das hängt vom jeweiligen dramaturgischen Kontext ab.

Das Genre der kommerziellen Horrorfilme ist sehr klar strukturiert, es hat ein eigenes Profil entwickelt: eigene Stars, Erzählarten, Typen von Charakteren, eine eigene Tradition von speziellen Effekten, eigene Produktionsfirmen, Magazine, Fans und Vertriebe. Aber auch eigene musikalische Klischees, die die Horrorfilmmusik oft so unverwechselbar und leicht erkennbar machen wie die Filme selbst.

Eine interessante Tatsache ist, dass die Filme oft die musikalische Sprache der aktuellen Strömungen zeitgenössischer Musik bedienen. Das haben Hanns Eisler und Theodor W. Adorno schon 1947 festgestellt – bestimmte Orchestereffekte und Spielarten, die nur für die „ernste“ Musik reserviert waren, wurden zur „gängigen Währung“ der Filmmusik. Und sie wurden bewusst oder unbewusst von einem sehr breiten Publikum, das nie zuvor ein Orchesterkonzert besucht hatte, verstanden und akzeptiert.

Auch der Komponist Howard Shore sagte bei einer Diskussion über Filmmusik: „Wenn ich an einen Horrorfilm denke, denke ich an Avantgarde-Musik, weil man mit ihren Mitteln so weit gehen kann, wie es nur möglich ist.“ Der Filmmusik-Theoretiker Kevin Donnelly meint, die experimentellen und extremen Aspekte des Klangs der Neuen Musik werden in den populären, kommerziellen Genres als ein Indikator für Abnormität verwendet, als Unterschied zur konventionellen Welt des Kinos. Außerdem steht für ihn die „hohe“ Kunstmusik für „hohe“ Emotionen, und in der Tat sind das die extremen Emotionen, die das populäre Kino braucht und besonders dann, wenn es um Angst und Schrecken geht, in der zeitgenössischen Musik findet.

Es gibt auch eine Reihe von Horrorfilmen, die mit Original-Werken der Neuen Musik „geschmückt“ sind. Das macht György Ligeti oder Krzysztof Penderecki aber nicht zu Horrorfilm-Komponisten. Denn, wenn man genau analysiert, wie das Vokabular der Neuen Musik im kommerziellen Film eingesetzt wird, kann man vor allem zwei Verwendungsarten unterscheiden: Schockeffekt und musikalisches Ambiente.

Zu den musikalischen Schockeffekten gehören die sogenannten „Stinger“, die durch musikalische „Explosionen“, Akzente, Cluster, geräuschhafte Effekte, scharfe Dissonanzen usw. erzeugt werden. Dabei ist die Dosierung der Schärfe eine wichtige dramaturgische Frage, denn Dissonanzen können je nach Instrumentation auch weich klingen.

Im Zusammenhang mit den Schockeffekten muss auch die Theorie von Daniel Blumstein Erwähnung finden. Ausgehend von der Duschszene des Hitchcock-Thrillers Psycho schreibt er, dass die Musik Angst erzeugen kann, wenn sie den Warnrufen und Schreien von Tieren in Not ähnelt: „Die Tiere geben in Angstsituationen häufig stoßartige verzerrte Laute von sich. In der Entwicklungsgeschichte des Menschen war dies ein wichtiges Warnsignal, das offenbar bis heute seine Wirkung beibehalten hat.“ Auch Stille kann als sehr starker Effekt zum Einsatz kommen.

Als musikalisch-akustisches Ambiente versucht die Musik eine im besten Fall unverwechselbare Atmosphäre zu erzeugen. Dazu gehören alle Arten von Spannungsostinati, Klangflächen, Loops, Drones und auch Musiken, die mit linguistischen Codes und Assoziationen arbeiten – etwas „Mystisches“ wird zum Beispiel oft mit ritueller Musik dargestellt – von (Pseudo-)Ethno- bis Kirchenmusik.

Ein relativ neuer Trend ist der Versuch, die Grenzen zwischen Musik und Sounddesign aufzulösen – durch den Einsatz elektronischer Klänge oder mit den Mitteln der erweiterten Kompositionstechniken kann die Musik sehr ähnlich wie Geräuschambiente klingen. Das führt zu einer subtilen Änderung der Filmrealität, was gleichzeitig stark emotional wirkt.

Was für weitere Möglichkeiten haben Komponist_innen, um Angst im Film zu erzeugen?

Es gibt noch eine Reihe von Mitteln, die selten im kommerziellen Film zu finden sind, und die nicht nur von den Komponist_innen, sondern auch von den Regisseur_innen und Produzent_innen viel Mut und Kompetenz erfordern. Es geht dabei zum Beispiel um dramaturgische Entscheidungen, die Musik als Kontrast und Kontrapunkt zu den Bildern und der Erzählung einzusetzen – so kann eine zusätzliche Spannungsebene zwischen der visuellen und der akustischen Ebene entstehen. In dem Fall ist es wichtig, neben dem Zusammenspiel von Musik- und Filmdramaturgie, die entstehenden Spannungsbögen zu kontrollieren und zu gestalten.

Ein Spezialfall, um Spannung, aber auch Schock oder (Selbst-)Ironie im Film zu erzeugen, ist zum Beispiel, durch die Musik generell aus der Filmerzählung auszusteigen, das Medium „Film“ von „außen“ zu betrachten oder Assoziationen mit ganz anderen Dingen herzustellen, und später wieder in die Handlung einzusteigen. Solche Strategien kann man zum Beispiel in Filmen von Mara Mattuschka oder Jean-Luc Godard finden.

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