Meine Dissertation Plena in San Juan, A Musical and Social Phenomenon in Urban Puerto Rico bildet den Hauptfokus meines Doktorstudiums Urbane Ethnomusikologie am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie unter der Betreuung von Ursula Hemetek. Meine Arbeit fokussiert sich auf die Analyse von Plena, einem Genre traditioneller afro-karibischer Musik und ihrer Aufführung in San Juan, der Hauptstadt Puerto Ricos. Aufbauend auf der von mir durchgeführten Feldforschung ist das Hauptziel meiner Arbeit die unterschiedlichen Plena-Darbietungen insbesondere auf ihren sozialen Hintergrund in verschiedenen Vierteln San Juans zu untersuchen. Die Analyse des jeweiligen Kontexts, in dem eine Aufführung stattfindet, ist unabdingbar, um zu verstehen, wie Plena je nach Aufführungsort variieren kann und inwiefern die jeweilige Geräuschkulisse und die unterschiedlichen Musikstile diese Kunstform beeinflussen können. Zu diesem Zweck begleite ich im Zuge meiner Recherche eine kleine Gruppe von MusikerInnen, die in ganz San Juan spielen, wobei sie auf professionellen Bühnen bis hin zu informellen und improvisierten Spielorten in Arbeitervierteln und an Straßenecken auftreten.

Güicharo
Güicharo ©Gerda Aigner-Silvestrini

Meine Arbeit stellt bisherige Publikationen über Plena infrage, die diese Musik in der Annahme, es gäbe nur eine Art Plena, als homogenes Genre präsentieren. Begreift man Plena als urbanes Phänomen, kann man davon ableiten, dass diese Musik so vielfältig ist, wie die MusikerInnen, die sie spielen. Daher dokumentiere ich nicht nur die unterschiedlichen Aufführungen als neutraler Beobachter, sondern erforsche darüber hinaus in umfassenden Interviews die Gesichtspunkte der Plena-MusikerInnen, um ihre Motivationen, Zielsetzungen und Ansichten zu verstehen. Ich analysiere, was es bedeutet ein Plenero (ein/eine Plena-MusikerIn) zu sein – wörtlich übersetzt bedeutet Plenero so viel wie „passionierter/passionierte Plena-LiebhaberIn oder -MusikerIn“, aber der Begriff inkludiert zudem auch Plena-LehrmeisterInnen und -AktivistInnen, die zur aktiven Teilnahme und zum Musizieren motivieren können. Zudem versuche ich die Motivationen einiger Mitglieder der Plena-Community nachzuvollziehen, die sie dazu bewogen haben, selbst Pleneros zu werden.

Was ist Plena?

Plena ist eine Liedform, die auf einer bestimmten rhythmischen Grundstruktur basiert. Ihre Besonderheiten sind der Klang der instrumentalen rhythmischen Muster, die Form und der Inhalt der Lieder sowie die sozialen Dynamiken, die sich in Zusammenhang mit den Plena-Performances abspielen.

Der grundlegende Rhythmus der Plena wird vom Güicharo, ein Idiophon das durch Schrapen eines Metallkamms oder einer Metallgabel namens Puyero auf den kleinen, in eine getrocknete Higüera-Frucht (vergleichbar mit einem kleinen Kürbis) eingeschnitzten Kerben gespielt wird, sowie von drei verschieden großen Panderos oder Panderetas, mit der Hand gehaltene Rahmentrommeln (siehe Abb. 1 und 2), vorgegeben. Der Plena-Rhythmus stützt sich auf mehrere rhythmische Muster, die die Grundlage für den begleitenden Gesang bilden (Dufrasne 2003). Wie der Anthropologe Ramón López hervorhebt, ist eines der charakteristischen Merkmale dieser Musik, dass alle dafür notwendigen Instrumente tragbar sind und im Stehen oder sogar im Gehen gespielt werden können (2008). Saxophonist Miguel Zenón beschreibt im Gespräch über sein Plena/Jazz-Album Esta Plena (2009) die Musikform Plena nicht nur als „mobil“, sondern als Mittel, um eine Botschaft in der Form eines Liedes von einem Ort zum nächsten zu übermitteln (Interview am 20. August 2014).

Pandereta-Trommeln
Pandereta-Trommeln ©Gerda Aigner-Silvestrini

Der Plena-Gesang besteht aus Call-and-Response-Strukturen, hierbei ruft der Solist den Coro oder Chor zu einem Refrain auf und wechselt sich mit diesem ab, es werden auf Basis des Liedinhalts spontane Variationen improvisiert. Plena-Rhythmen werden gerne verwendet, um verschiedene Liedformen zu begleiten, die vom Textinhalt stark variieren können. Die Wissenschaftlerin Malena Kuss beschreibt diesen Umstand folgendermaßen: „(a)s the neighbourhood’s journal, plena is Puerto Rico’s most popular form of social commentary. Through improvised or learned poetry, […] repeated indefinitely in responsorial style, historical memory is recorded in song“ (2007: 169). Das kollektive Gedächtnis entsteht in der Folge durch Wiederholung, die festgehaltenen Ereignisse und Geschichten erklingen auch viele Jahre später noch in Plena-Liedern.

Plena-Performances: Plenazo

Für die Kunstform Plena ist ihr performativer Charakter ausschlaggebend. Das sogenannte Plenazo ist eine von vielen verschiedenen Formen der Plena-Aufführungen oder -Performances. Plenazos werden von der Plena-Community organisiert und sind offene Plena-Treffen oder -Jamsessions, die an unterschiedlichen öffentlichen urbanen Orten (z. B. Plätze, Parks oder auch Parkplätze) stattfinden, wobei Pleneros oder wichtige lokale Persönlichkeiten geehrt werden, besondere Anlässe gefeiert werden, Bewusstsein über bestimmte Themen geschaffen wird oder die Geschichte und die Praxis der Plena vermittelt werden. An der Organisation solcher Events sind MusikerInnen, lokale Entscheidungsträger sowie die Stadtverwaltung beteiligt, aber sie betreffen die gesamte Plena-Community. Denn diese Konzerte stützen sich auf das Mitwirken des Publikums, das von einer Handvoll bis zu mehreren Hundert BesucherInnen umfassen kann.

Plenazo
Plenazo el Junqueño am 12. März 2016 im Barrio Obrero, Puerto Rico ©Javier Silvestrini

Alle ZuschauerInnen sind dazu eingeladen an der Performance mitzuwirken – mitzusingen, mitzuspielen oder zu tanzen. Das Ziel des Plenazo ist nicht nur ein Treffpunkt für die Community zu sein, dem Publikum Unterhaltung zu bieten und/oder Bewusstsein über sozio-politische Themen zu schaffen, sondern auch Möglichkeiten zur Bildung- und Weiterbildung zu bieten, denn Plenazos schaffen für gewöhnliche Plena-MusikerInnen die Möglichkeit, große Meister-Pleneros zu treffen, von ihnen zu lernen und mit ihnen zu spielen, wodurch die Tradition der Plena weitergeführt werden kann und die neuen Generationen an diese Musikform herangeführt und dafür begeistert werden können (Matos & Reyes 2012).

Plenazos sind nur ein Beispiel der zahlreichen Settings und Zusammenhänge, die ich untersuche, wobei jedes Setting durch seine eigenen sozialen Dynamiken und sein musikalisches Improvisationsvokabular zur vielfältigen musikalischen Plena-Landschaft San Juans beiträgt.

 

Literatur:

  • Dufrasne, Emanuel, 2003. „Plena Vieja, Plena Nueva“ in Musical Cultures of Latin America, Steve Loza (Hg.): Global Effects, Past and Present, Proceedings of an International Conference University of California, May 28–30, 1999. Los Angeles: Ethnomusicology Publications Department of Ethnomusicology and Systematic Musicology, S. 129–140
  • Kuss, Marlena, 2007. „Puerto Rico in Music in Latin America and the Caribbean“ in An Encyclopedic History: Volume 2 Performing the Caribbean Experience. University of Texas Press, S. 150–188
  • Lopéz, Ramón, 2008. Los Bembeteos de la Plena Puertorriqueña. San Juan, Puerto Rico: Ediciones Huracán.
  • Matos, Hector and Reyes, Mariana, 2012. Plenazos Callejeros. San Juan, Puerto Rico: Dokumentarfilm, produziert von Viento de Agua Inc.
  • Zenón, Miguel, 2009. Esta Plena. Cambridge, Massachusetts, USA: Marsalis Music.

 

Weitere Informationen zum Disskolleg der mdw:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert