Tamara Metelka, Florian Reiners und Annett Matzke sind ein eingespieltes Team. Seit knapp eineinhalb Jahren unterrichtet das Trio in dieser Konstellation Sprachgestaltung am Max Reinhardt Seminar. Im Gespräch mit dem mdw-Magazin geben sie Einblick in den Unterrichtsalltag, erklären, warum es bei der Sprachgestaltung um viel mehr als nur das Sprechen geht, und machen deutlich, dass die Stimme – wie jedes andere Instrument auch – sorgsam behandelt werden muss.

Sprechen ist neben dem Schauspiel ein zentrales künstlerisches Fach und damit ganz wesentlich in der Ausbildung am Max Reinhardt Seminar, denn „die Sprechausbildung ist es, die letztlich den Unterschied zwischen einem begabten Laien und einem/einer ausgebildeten, professionellen SchauspielerIn ausmacht“, so Florian Reiners. Eine tragfähige, kräftige und ausdrucksfähige Stimme wird ausgebildet, wobei nicht nur das Sprechen selbst, sondern auch körperliche Fitness oder der Atem dabei eine bedeutende Rolle spielen. Ziel ist die auf Theodor Siebs zurückgehende Bühnenhochlautung, die seit 1898 kontinuierlich weiterentwickelt wurde und wird.

Gemeinsam mit ihren AssistentInnen begleiten die drei Sprachgestaltungslehrenden die Studierenden als Konstante über das gesamte Studium. Sie durchleben dabei mehr als nur den Sprechunterricht mit ihnen, denn Sprache ist immer stark mit Emotionen verknüpft: „Die Stimme ist ein Seismograf der Seele. Da brechen manchmal Dinge über die Atmung auf und wir müssen dann erst einmal ganz andere Probleme lösen“, erklärt Annett Matzke, die im psychosozialen Bereich angesiedelte, notwendige Kompetenz im Unterricht. „Ich habe eine Zeit lang sogar mit einer Traumatherapeutin zusammengearbeitet, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Studierende im Unterricht retraumatisiert werden. Traumatische Erlebnisse sind im Körper gespeichert und durch eine Veränderung in der Atmung können diese wieder aufkommen. Um das zu unterbrechen, gibt es ganz einfache Methoden“, ergänzt Tamara Metelka. Die Stimme, das müssen die angehenden SchauspielerInnen oft erst begreifen, ist ein Instrument, das es zu erlernen, pflegen und trainieren gilt. „Alles, was im Alltag abläuft, ist eigentlich kaum für die Bühne geeignet, denn diese hat eine vollkommen andere Sprache. Ich sage meinen Studierenden oft, dass es wie das Erlernen einer Fremdsprache ist“, so Metelka. „Im Zentrum steht dann die Arbeit am Atem, an der Sprechatmung und dass die Studierenden den Atem als Transportmittel für Gedanken und ihr Spiel begreifen“, ergänzt Reiners.

Annett Matzke
Annett Matzke ©Trixi Kovats

Die vier Jahrgänge werden untereinander aufgeteilt und zusätzliche Schwerpunkte angeboten, um den Studierenden eine möglichst breite praktische Ausbildung zu ermöglichen, ganz im Sinne Max Reinhardts. Annett Matzke konzentriert sich im vierten Semester auf die Kraftstimme. Dabei geht es darum, lange Zeit laut zu sprechen oder zu schreien, ohne dabei die Stimme zu schädigen: „Es ist sehr unnatürlich über einen langen Zeitraum hinweg zu brüllen, wird aber von RegisseurInnen leider immer wieder verlangt. Der Profi muss so etwas jeden Abend wiederholbar machen können und immer so tun, als wäre er gerade im Moment.“ Reiners ergänzt: „Die guten SchauspielerInnen sind die, bei denen die Technik bzw. das Bewusstsein für die sprechtechnischen Abläufe schließlich verschwindet und nur mehr die Persönlichkeit des Schauspielers/der Schauspielerin sichtbar ist.“ Und „ganz oft wird Intensität mit Lautstärke verwechselt“, weiß Metelka. Es muss gelingen, Klangräume durchgehend offen zu halten und Verspannungen zu verhindern. „Je lauter ich werde, desto mehr muss der Körper in Spannung kommen – jedoch nicht in eine Verspannung“, so Matzke weiter. Florian Reiners erklärt, dass „gerade das postdramatische Theater häufig Schreiinszenierungen verlangt. Da ist ein Körper-Stimmtraining bzw. das Trainieren der Kraftstimme unbedingt notwendig, sonst bestehen sie im Job nicht.“

Tamara Metelka setzt im fünften Semester einen Schwerpunkt auf Räume: „Ich mache ein starkes Bewusstseinstraining über Raum. In welchem Raum spiele ich gerade real und was bedeutet eine Vergrößerung des Raums nach außen oder nach innen – das sind Fragen, denen wir mit klar strukturierten Übungen nachgehen. Die Studierenden müssen in der Lage sein, das, was sie präsentieren wollen, in jedem Raum, egal ob auf der kleinen Kellerbühne oder im riesigen Burgtheater, so zu spielen, dass es beim Publikum gleich ankommt.“ Körperliche, darstellerische und stimmliche Präsenz sind dafür essenziell und beeinflussen einander. „Man muss für jede Rolle und jeden Emotionszustand die geeignete Grundspannung finden“, so Metelka weiter. Auch Silbenelastizität ist ein wichtiges Thema im Unterricht, denn die Sprache soll stets lebendig bleiben. „Sprache ist kein langer ruhiger Fluss, sondern ein sprudelnder Gebirgsbach. Es geht um das Erlebnis eines sehr authentischen Sprechens“, erklärt sie das Prinzip dahinter.

Tamara Metelka
Tamara Metelka ©Trixi Kovats

Wenn wir im realen Leben sprechen, rufen wir automatisch Emotionen, Bilder, Erinnerungen oder Assoziationen ab. Damit das den SchauspielerInnen auch in der Rolle rasch gelingt, legt Florian Reiners im sechsten Semester einen Schwerpunkt auf Textarbeit: „Ich habe in der Textarbeit eine Technik entwickelt, die den Studierenden hilft, blitzschnell Bilder zu kreieren und für die Rolle passend abrufbar zu machen. Das können sie dann universell für Bühne und Kamera nutzen, denn ich habe festgestellt, dass sich unsere Studierenden für den Arbeitsmarkt zunehmend an die Kameraarbeit gewöhnen müssen. Hier bin ich vorbereitend für das Kameratraining tätig.“ Damit wird eine Lebendigkeit in der Sprache erreicht, die für Profis absolut notwendig ist.

Einzelunterricht, Einzelunterricht in der Gruppe und Gruppenunterricht wechseln einander ab. Gerade zu Beginn des Studiums bringt das Zuhören und Bewerten anderer viele Vorteile, ist Metelka überzeugt: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man in der Kleingruppe wesentlich mehr lernt, weil Sprechmuster bei den KollegInnen erkannt werden und man sich gut vergleichen kann.“

Etwas Besonderes in der Ausbildung ist auch, dass die Regiestudierenden, die am Max Reinhardt Seminar ausgebildet werden, ebenfalls am Sprachgestaltungsunterricht teilnehmen. Dabei verbessern sie nicht nur ihre eigenen sprachlichen Fähigkeiten, sondern können später in der Zusammenarbeit mit SchauspielerInnen Situationen besser bewerten und handeln, wenn sprachliche Eingriffe notwendig sind.

Florian Reiners
Florian Reiners ©Christine Fenzl

So individuell wie jede Stimme, so individuell ist auch jede Biografie und darauf wird in der Förderung und Begleitung jedes/jeder einzelnen Studierenden eingegangen. „Besonders toll ist es, wenn wir es schaffen, dass die Studierenden ihre persönliche Stimme finden und ihre Stimmfarbe behalten, auch wenn sie in die Bühnenhochlautung gehen, denn die Stimme ist immer die Visitenkarte der SchauspielerInnen und letztlich auch die Visitenkarte des Max Reinhardt Seminars“, so Reiners. Dabei sollen auch Dialekte nicht verlorengehen – im Gegenteil. „Sprache ist ja ein Stück Biografie und Teil der eigenen Wurzeln. Die Hochlautung darf in keinem Fall dem widersprechen, dass ich die Sprache individuell nutze“, so Matzke.

Zusätzlich zum Unterricht begleiten die Sprachlehrenden die Studierenden bei internen sowie externen Produktionen oder zu Intendantenvorsprechen und stehen bei Projekten stets beratend zur Seite. Ein Erfolgserlebnis für die Lehrenden ist dann am Ende nicht nur das Abschlussvorsprechen, sondern beispielsweise auch „wenn Studierende im Unterricht erkennen, wie tief Sprache gehen kann“, so Metelka. „Worte haben eine Macht und eine Energie. Dass sie auch eine Verantwortung für das gesprochen Wort haben, lernen sie hier ebenso. Am Ende stehen sie auf der Bühne und müssen Texte sprechen und Inszenierungen spielen und wir wollen, dass sie hinter dem stehen, was sie spielen, und nicht bloße Sprechautomaten werden“, fügt Reiners hinzu. Die Sprache auf der Bühne entwickelt und verändert sich laufend, und das Sprechen begleitet die SchauspielerInnen ein Leben lang – das kontinuierliche Üben und Kultivieren der gelernten Sprechtechniken liegt dann bei jedem/jeder Einzelnen. „Was man auf dem Instrument spielt – ob Mozart oder ein Punkkonzert –, das ist dann die Entscheidung der Studierenden, aber sie sind nach der Ausbildung bei uns in der Lage in verschiedenen Spiel- und Sprechstilen zu arbeiten“, fasst Reiners zusammen.

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