Brahms wäre bass erstaunt gewesen und wohl beglückt: Bassinstrumente sind bei KomponistInnen seit Längerem besonders beliebt. Sein vom Death Metal inspiriertes Faible für Aas und Todesnähe lebt Bernhard Gander mit Stücken wie morbidable II (une charogne) für Kontrabassklarinette solo und Bass (2015) aus. DW22. Winterlicht für Bassflöte und Kontrabass (2010) oder DW25. …more Loops for U für Kontrabass solo (2014) zeigen Bernhard Langs Neigung für tiefe Töne. Ein weiteres Stück der DW-Serie1, sein DW28. …loops for Davis für Bassklarinette und Orchester (2016), gehört neben Alexander Schuberts Codec Error für 2 Schlagzeuger, Kontrabass, Lichtregie und Elektronik zu den Premieren der diesjährigen Donaueschinger Musiktage. Bässe sind en vogue. Frühe Anzeichen einer kompositorischen Vorliebe der neuen Musik für Kumulationen tiefer Frequenzen dürften Helmut Lachenmanns Harmonica für großes Orchester mit Tuba-Solo (1981) und Luigi Nonos Post-prae-ludium per Donau für Tuba und Live-Elektronik (1987) gewesen sein, ihnen folgten Jonathan Harveys Still für Tuba und Elektronik (1995), Olga Neuwirths Ondate II für 2 Bassklarinetten (1998), ihr Spleen II für Bassflöte (1999), Michael Jarrells Assonance VIII für verstärkte Bass- oder Kontrabassflöte und 4 Schlagzeuger (1998) und viele andere.

Ihre Konjunktur in neuerer Musik verdanken tiefe Töne und damit Bassinstrumente – oft allein, manchmal massiert auftretend wie beim Low Frequency Orchestra – vermutlich einem Schwächerwerden der Tonalität. Vorbei die Zeit, als der Bass noch ein richtiger Bass war, standfest und tongewaltig. Schon wo Brahms Reprisen mit einem Quartsextakkord hatte einsetzen lassen, markiert und fundamentiert der Bass nicht mehr. Das Verschwimmen der traditionellen Bassfunktion kam seiner Attraktivität zugute. Er darf nun zart sein und schweben, er darf sich mal verlieren im Klang des Ganzen.

Bevor der Bass im Zeitalter der tonalen Musik derart mächtig wurde, war aber der Tenor die wichtigste Stimme im Satz gewesen. Mit dem Sopran hatte er sich liiert. Zusammen waren die beiden Herrin und Herr im Hause. Ihre Schuhe hatten etwas gekostet, sie waren aus Leder. Glücklich vereint sangen sie gern parallel in Sexten. Mit dem Alt kam der Bass in der Dienstbotenstube unter, sie trugen Holzschuhe. Beim täglichen mehrstimmigen „Singen nach dem Buch“2, in dem ja nur eine Stimme notiert war, die des Tenors, richtete sich alles nach diesem. Dem Bass kam es gewöhnlich zu, zwischen Terzen und Quinten unter den Tenortönen zu wechseln. Als sich die Hierarchie der Stimmen aber zu verschieben begann, schrieb man Empfehlungen eigens für das Erfinden von Bässen. Eine davon ist Zarlinos Bassregel, formuliert Mitte des 16. Jahrhunderts für mehrchörige Setzweisen. Er empfiehlt, die Bässe eines jeden Chors in Anti-Parallelen laufen zu lassen „oder zuweilen auch in Terzen“. Die Quinte aber in einen der Bässe zu setzen, „brächte viel Ungelegenheit“, schon wegen möglicher Parallelen, dann auch, weil innerhalb eines einzelnen Chors „Dissonanzen auftreten können“3. Aufmerksamkeit galt nicht mehr allein dem Verhältnis der Stimmen zum Tenor.

Von da an hatte der Bass für mehr als drei Jahrhunderte das Sagen. Damit, dass man sich gleichzeitig klingende Töne als Akkorde zurechtdachte und bald nach 1600 auch Namen für sie fand, fiel die Entstehung des Generalbasses zusammen. Von der Stimmlage seines eigenen Körpers her, dem Körper des Generalbassspielers, sorgte dieser dafür, dass seine Sicht für die Auffassung der Harmonie maßgeblich wurde, die Sicht von der tiefen Stimme auf die höheren. Namen wie Sextakkord geben ja an, was über dem Bass außerdem noch zu spielen ist. Abgeleitet wird nun alles von ihm. Daher sind basslose Sätze besonders. Verräterisch ist, dass kein Pendant für andere Stimmen existiert: Man sagt nicht „tenorlos“, „sopran-“ oder „altlos“, denn für Nebenerscheinungen waren Extrawörter nicht nötig, die vom Bass her gedachte und benannte Harmonie war ja die Grundlage der Komposition. Ohne ihn fehlte das harmonische Fundament. Macht eine fehlende Oberstimme den Satz nur unvollständig, so ist, was ohne Bass bleibt, in tonaler Musik oft sogar satztechnisch falsch. Das blieb für lange Zeit so: Liegt die Cellistin eines Streichquartetts krank im Bett, so kommt es beim Spiel eines Haydn-Quartetts durch die Übrigen zu unerlaubten Akkordumkehrungen, zu untypisch schwachen Schritten beim Erreichen von Schlüssen, auch zu Unsicherheiten beim Intonieren. Wenn der Tonsetzer aber einkalkuliert, dass das Cello pausiert, wahrscheinlich nur für ein paar Takte, so rückt die Bratsche nach und hat dann den satztechnischen Reglements eines Basses zu folgen. Dass sie nur großtut und kein wahres Bassinstrument ist, sagt der niedliche Name für solche Partien: Bassettchen. War ein tiefer Bass aber das ganze Stück über oder für längere Passagen abwesend, so hielt man den Bratschenbass oder die von einem anderen kleineren Instrument gespielte tiefste Stimme keineswegs mehr für eine entzückende Verkleidung: Ein solches Bassettchen wies auf den hin, der keinen Grund mehr unter den Füßen hat, der gottverlassen ist. Der Karriere höherer Stimmen hat die Warnung mit dem Fingerzeig nach droben nicht geschadet, und vernehmbar reagierten hier bis in die Gegenwart die musikalische Interpretation und das Komponieren aufeinander. Dass es im Zeitalter der tonalen Musik zu einer zusehends flacheren Hierarchie der Stimmen kam, vor allem im Fin de Siècle, hatte Folgen für das Spiel auch älterer Stücke. Nicht selten waren Orchester, mit denen Mozart musiziert hatte, im Bassbereich dröhnend stark besetzt. Besonders Karajans Hochglanzeinspielungen projizierten die moderne Idee einer perfekten Balance aller Stimmen zurück in die Zeit der Wiener Klassik, und in aller Schärfe hört man die Verschiebung klanglicher Prioritäten bei OrganistInnen, wenn sie die notierte Oktavlage des Basses aktualisierend für einen schwebenden Klang herausregistrieren.

Ein Zuviel an Bass hatte den Tonsatz aber schon zu seiner Glanzzeit von Dur und Moll an den Rand der Tonalität getrieben. Lieder und Arien für Bass kippten leicht in Archaismen, Soziolekte oder Grotesken. Wo der singende den instrumentalen Bass doppelte wie in dem extra öden Anfangs-Parallelismus aus Zelters König von Thule, wo Sarastro mit den Grundtönen einer Quintfallsequenz „vergnügt und froh“ sich selbst „in’s bessre Land“ begleitete oder wo Marcel aus Meyerbeers Hugenotten radikal wurde (im Sinne einer Auslöschung der Vielstimmigkeit), da waren die Melodien mit ihrem Fundament in eins gefallen und ihm zum Opfer.

Anmerkungen

  1. DW steht für Differenz/Wiederholung und ist eine Bezugnahme Langs auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze.
  2. Vgl. Barnabé Janin, Chanter sur le livre. Manuel pratique d’improvisation polyphonique de la Renaissance (XVe et XVIe siècle), Lyon 20142.
  3. Gioseffo Zarlino, Istitutioni harmoniche (1558/62, 3. Buch, Kap. 66), in: Gioseffo Zarlino. Das musiktheoretische Gesamtwerk II, übersetzt und kommentiert von Christoph Hohlfeld, als Typoskript vervielfältigt, Hamburg um 1993, S. 268.

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