Eine wechselvolle Geschichte mit unerwarteten Kontinuitäten

2019 feiert die Wiener Staatsoper ihr 150-jähriges Jubiläum – passend dazu bringt ein Team von WissenschaftlerInnen bereits jetzt neue Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen mit der Politik ans Licht.

Wiener Hofoper
Die Wiener Hofoper in einer Aufnahme von ca. 1898 ©N.N. Aus: Josef Löwy – Julius Laureni (Hrsg.): Unsere Monarchie – Die österreichischen Kronländer zur Zeit des fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläums seiner k.u.k. apostol. Majestät Franz Joseph I.

Die Wiener Staatsoper, ehemals Hofoper, gehört zu den zentralen Orten des österreichischen kulturellen Selbstverständnisses sowie der Erinnerung und ihre Geschichte war von Beginn an mit den politischen Entwicklungen in Staat und Stadt verknüpft. Um diese Zusammenhänge in ihren vielfältigen Aspekten darzustellen, arbeiteten drei prominente Institutionen an einem gemeinsamen, FWF-geförderten Projekt: Das Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK), das Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw sowie das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.

Angesichts der vielschichtigen Kontexte und des langen Untersuchungszeitraums konzentrierte sich das Projekt auf eine Folge von exemplarischen Zeitabschnitten. Fünf Phasen, die auf Basis zeithistorischer Analyse als besonders relevant definiert wurden, brachten eine Fülle von Ergebnissen zutage, die im Folgenden nur angedeutet werden können.

Programmzettel
Programmzettel mit Hinweis auf eine Ehrung von verwundeten Frontsoldaten

Die erste Phase blickt auf die Erbauungszeit des neuen Opernhauses und damit auf die „Ringstraßenkultur“, die von der Vorherrschaft der Liberalen in der Wiener Stadtpolitik, dem Ausgleich mit Ungarn, der Wiener Weltausstellung, dem Börsenkrach und der Choleraepidemie im Jahr 1873 geprägt war. Das neue Haus am Ring war einerseits selbst heftig umstritten, andererseits aber auch Schauplatz und Diskussionsort von künstlerischem Ausdruck dieser Kultur. Aspekte der damals vorherrschenden (nationalen) Identitätsdiskussionen wurden anhand zweier wesentlicher Werke des Wiener Opernrepertoires dieses Zeitraums herausgearbeitet: Richard Wagners Lohengrin und Carl Goldmarks Königin von Saba.

Phase 2 befasst sich mit dem Jahr 1897, in dem Karl Lueger das Bürgermeisteramt antrat. Gleichzeitig erschütterten die so genannten „Badeni-Unruhen“ Prag, Wien und weitere Städte der Monarchie. Sie waren Folge einer politisch schlecht vorbereiteten Sprachenverordnung für Böhmen und Mähren und führten den Nationalitä- tenkonflikt innerhalb der Monarchie in eine neue, für das gesamte Reich kritische Phase. Im selben Jahr wurde Gustav Mahler Hofopern-Direktor. Diese Vorgänge werden vor der Rezeption der vermeintlichen „Nationaloper“ Bedřich Smetanas Dalibor auf dem Opern-Spielplan gespiegelt.

Die nunmehrige Staatsoper in der jungen Republik der 1920er-Jahre ist Gegenstand der dritten Phase. Die alte Hofoper stellte für den jungen Staat eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Letztlich gab das Verantwortungsgefühl für „Österreichische Musik“ als bedeutenden Wert im Land den Ausschlag, das Haus weiter zu führen. Ein schmales Budget sorgte dafür, dass statt Neuem nun altbekannte „Meisteraufführungen“ den Schwerpunkt im Spielplan bildeten. Werke von Richard Strauss – der Wiener Hofoper bereits sehr verbunden und bis 1924 ihr Direktor – standen im heftigen öffentlichen Diskurs und wurden auch in politische Diskussionen einbezogen, bedeuteten sie doch eine Fortsetzung der elitären Musiktheaterkultur der Vorkriegszeit. Strauss’ Oper Frau ohne Schatten und sein Ballett Schlagobers stehen hier exemplarisch im Fokus der Forschenden. Auch im Kulturbetrieb Oper selbst gab es keinen großen Bruch und daher auch keinen vollständigen Neubeginn. Der politische Systemwechsel schlug sich vor allem im juristischen Bereich, in den politischen Zuständigkeiten und im Namenswechsel der Institution nieder.

Staatsgesetzblatt
Auszug aus dem Staatsgesetzblatt vom 9. Dezember 1918

Gleichzeitig versuchte sich spätestens seit 1905, als die Arbeiter-Symphoniekonzerte gegründet worden waren, eine institutionell gut abgesicherte sozialdemokratische Musikkulturpolitik im roten Wien zu etablieren, die eher auf Evolution als auf Revolution setzte und sich stark mit dem künstlerischen Erbe und dessen Aneignung beschäftigte. Auch von dieser Seite stand also trotz des großen politischen Umbruchs eher ein Bemühen um Kontinuität im Vordergrund.

Im Jahr 1928 kam es zu Protesten gegen Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf. Diese heizten die Operndiskussionen an und führten sie auf einen neuen Höhepunkt. Gleichzeitig brachte dies die erste NS-geführte Massenkundgebung in Wien mit sich. Wie die Oper in den Diktaturen der 1930er- und 1940er-Jahre positioniert war, untersucht die vierte Phase. Der Zeitraum von 1934 bis 1945 wird anhand Ernst Kreneks eigentlich sehr systemkonformer, aber nicht realisierter Oper Karl V., Franz Lehárs Triumph mit Giuditta sowie Rudolf Wagner-Régenys „Skandaloper“ Johanna Balk dargestellt. Zu den Fragen, denen die Forschenden in diesem Zeitraum nachgehen, gehört auch jene nach der Relevanz einer speziellen „Wiener“ Musikpolitik Baldur von Schirachs.

Schließlich nimmt Phase 5 die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg unter die Lupe. Diese war auf kulturellem Gebiet zu Beginn von einem Bemühen um eine juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen gekennzeichnet. Die diesbezüglichen Akten der dafür eingesetzten Sonderkommissionen stellen eine wichtige und erstmals ausgewertete Quelle für das Projektteam dar. Die Außenwirkung der Oper war damals von besonderer Bedeutung. Gerade in Vorbereitung auf die Wiedereröffnung der zu Kriegsende schwer zerstörten Staatsoper und als Symbol Wiens und Österreichs wurde die Wiener Oper eine wichtige Kraft bei der Kontaktnahme mit Emigrationskreisen in den USA. Auf dieses bisher kaum beachtete Kapitel der Zeitgeschichte legten die Forschenden einen zweiten Schwerpunkt.

Karikaturen
Antisemitisch motivierte Karikaturen aus dem Stimmenmaterial der Hofoper zur „Königin von Saba“ ©Carolin Bahr, Archiv der Wiener Staatsoper

Generell darf es nicht verwundern, dass das interdisziplinär besetzte Projektteam einen beträchtlichen Teil der Projektarbeit der Suche, Sichtung und Aufarbeitung relevanten Archivmaterials widmete. Unter der Leitung von Christian Glanz, dem stellvertretenden Leiter des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw, forschten Carolin Bahr und Angelika Silberbauer (Musikwissenschaft), Tamara Ehs (Politikwissenschaft) und Fritz Trümpi (Zeitgeschichte) drei Jahre lang zum Projekt Eine politische Geschichte der Oper in Wien 1869 – 1955. Projektpartner war der Zeithistoriker Oliver Rathkolb.

Das Forschungsteam befindet sich mit diesem Projekt und seinen Ergebnissen am Puls der Zeit – so erforscht auch die Münchner Staatsoper ihre politische Vergangenheit – und ist in die Vorbereitungen zum Jubiläumsjahr der Wiener Staatsoper 2019 aktiv eingebunden. Gemeinsam mit früheren Forschungsarbeiten zur Rezeptionsgeschichte kann es mit seinen Ergebnissen wesentlich zur Weiterentwicklung des Narrativs über einen höchst relevanten Teil österreichischer Kunst- und Kulturpolitik beitragen.

Eine im Rahmen des Projekts genutzte und weiter auszubauende Spielplan-Datenbank der Wiener Oper sowie Texte und Materialien mit Ergebnissen sind unter www.mdw.ac.at/imi/operapolitics abrufbar.

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