Michael Frischenschlager und Clemens Hellsberg im Gespräch mit dem mdw-Magazin über einen Jahrhundertvirtuosen und großen Humanisten anlässlich dessen 150. Geburtstags im Jahr 2025.

Lassen Sie uns mit einer persönlichen Frage beginnen: Wie war bei Ihnen beiden der erste Kontakt mit der Musik von Fritz Kreisler?

Michael Frischenschlager © Juri Tscharyiski

Michael Frischenschlager (MF): Das war – ehrlich gesagt – eine traurige Geschichte. Ich habe in Salzburg am Mozarteum studiert, gleich nach dem zweiten Weltkrieg, bei Theodor Müller. Er war ein wunderbarer Lehrer, ein großartiger Pädagoge, aber er war als Sudetendeutscher sehr „national“ eingestellt. Und er hat mir – ich sage das ganz offen – verboten, Fritz Kreisler zu spielen. Seine Begründung war: „Das ist Kaffeehausmusik – und außerdem ist er ja ein Jud.“

Ein schwerer Einstieg.

MF: Ja, das kann man so sagen. Erst später, in Köln, durfte ich endlich Kreisler spielen. Das war ein Aha-Erlebnis für mich. Seine kleinen Stücke – zum Beispiel Liebesleid oder Schön Rosmarin – sind kompositorisch so präzise gearbeitet, mit einer solchen Musikalität. Da war kein Hauch von Trivialität. Ich war sofort begeistert.

Clemens Hellsberg (CH): Bei mir war es ganz anders. Mein Vater (Eugen Hellsberg, Anm.) war selbst Musiker, Jahrgang 1910, und hatte Kreisler noch live gehört – in Berlin. Ich bin mit diesen Stücken aufgewachsen. Für mich gehörten Liebesleid oder Liebesfreud von Anfang zum Standardrepertoire. Und später natürlich auch Kreisler-Kadenzen zu den Violinkonzerten von Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms.

MF: Eines der aufregendsten Erlebnisse meiner Jugend war es, als ich Kreisler persönlich begegnet bin. 1956, im Mozartjahr, war ich mit dem Mozarteumorchester Salzburg in der Carnegie Hall. Danach gab es einen Empfang – und plötzlich stand der Konzertmeister neben mir und sagte: „Komm mit, der Kreisler ist da.“ Dann wurde ich ihm vorgestellt. Er saß da – weißes Haar, schmächtig, aber mit diesen unglaublichen Augen. Es war ein Moment, der mich nie mehr losgelassen hat.

Was hat Sie so an ihm berührt?

MF: Seine Würde, seine stille Größe. Und sein Schicksal. Ich begann mich zu fragen: Warum wurde seine Musik eigentlich so lange kaum gespielt? Warum ist er bei uns fast vergessen – während er in Amerika, Asien oder England als Legende gilt?

Hat es auch mit seiner Biografie zu tun?

CH: Vielleicht. Fritz Kreisler war ein echter Altösterreicher. Patriotisch, monarchietreu, humanistisch. Im 1. Weltkrieg meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, obwohl er schon berühmt war. Schon vor dem 2. Weltkrieg stellte er sich ab 1933 ganz klar gegen den Nationalsozialismus. Und trotzdem – oder gerade deshalb – wurde er in Österreich lange ambivalent betrachtet.

MF: Er war auch unfassbar großzügig. Nach beiden Weltkriegen organisierte er riesige Hilfsaktionen, spendete Gagen, organisierte Transporte mit Kleidung und Lebensmitteln – besonders für die notleidende Wiener Bevölkerung.

CH: Er war eine moralische Instanz – und zugleich ein musikalisches Wunder. Diese kleinen Stücke, die scheinbar leichten, – sie sind perfekt gebaut. Kompositorisch glasklar, an der Wiener Klassik geschult, aber immer mit einem eigenen Ton.

Worin liegt für Sie die besondere Herausforderung, Kreislers Musik aufzuführen?

MF: Gerade in ihrer scheinbaren Leichtigkeit. Es ist Musik, die rasch in ihrer Wirkung kippen kann: Spielt man sie zu süßlich, wird sie kitschig. Spielt man sie technisch, klingt sie rasch banal. Man muss genau die Mitte finden – mit Ernst, Geschmack und Charme. Kreisler ist eine Schule des guten Geschmacks.

CH: Und was oft vergessen wird: Er hatte ein unglaubliches stilistisches Einfühlungsvermögen. Seine „Pugnani“- oder „Tartini“-Stücke hat er im barocken Stil komponiert – und jahrzehntelang alle damit getäuscht. Erst ein Musikwissenschaftler hat herausgefunden, dass es seine eigenen Werke waren.

Was war seine Motivation für ein solches Täuschungsmanöver?

MF: Er sagte einmal, wenn er als junger Komponist eigene Werke gespielt hätte, hätte sich niemand dafür interessiert. Also hat er sie unter erfundenen Namen gespielt. Aber vermutlich war es auch ein Spiel, eine Provokation – gegenüber dem klassischen Musikbetrieb, gegenüber dem Kanon.

Welche Bedeutung hat Kreisler aus Ihrer Sicht in der heutigen Zeit?

Clemens Hellsberg © Terry Linke

CH: In der Welt? Sehr viel. In Asien, Amerika, überall wird er verehrt. Bei uns? Leider viel zu wenig. Das war mit ein Grund, warum wir uns so stark für einen Fritz-Kreisler-Wettbewerb eingesetzt haben. Der erste fand 1979 statt, den wir gemeinsam mit Wolfgang Schneiderhan initiiert haben.

MF: Wien braucht so einen Wettbewerb. Diese Stadt hat so viel zur Musik beigetragen – und Kreisler gehört diesbezüglich zu den wichtigsten Persönlichkeiten, auch als Humanist. Der Wettbewerb ist eine Erinnerung daran, dass Musik nicht nur Kunst ist, sondern auch eine Haltung beinhaltet.

Was kann die junge Generation von Geigerinnen und Geigern von Kreisler lernen?

CH: Sehr viel. Technik, Artikulation, Phrasierung. Und vor allem: dass man Persönlichkeit zeigen darf, dass man singen darf mit dem Instrument und dass es erlaubt ist, Musik zu lieben.

MF: Und dass Tradition nichts Starres ist, sondern lebendig bleibt – wenn man sie weitergibt. Der große Pianist Bruno Seidlhofer hat zu seinen Schülern gesagt: „Ich gebe Ihnen den Handschlag von Beethoven weiter.“ Und er meinte das völlig ernst, weil er auf direkte Lehrer-Schüler-Verhältnisse verweisen konnte: von Beethoven über Czerny bis zu ihm selbst. Das ist keine Legende, das ist eine gelebte Linie.

CH: In diesem Sinn steht auch Kreisler mittendrin. Nicht nur als Musiker, sondern als Träger einer Idee: dass Musik ein Raum ist, in dem Menschlichkeit, Humor, Tiefsinn und Schönheit zusammenkommen. Und genau das bleibt sein größtes Vermächtnis.

Seit 1979 erinnert Österreichs bedeutendster Violinwettbewerb an den großen Geigenvirtuosen Fritz Kreisler (1875–1962). Michael Frischenschlager (geb. 1935), Präsident Emeritus der Fritz Kreisler Gesellschaft, war langjähriger Professor und von 1992 bis 1996 Rektor der mdw. Clemens Hellsberg (geb. 1952), Präsident der Kreisler Gesellschaft, war von 1997 bis 2014 Vorstand der Wiener Philharmoniker. Gemeinsam mit dem Zeithistoriker Oliver Rathkolb ist er Herausgeber von Fritz Kreisler: Trotz des Tosens der Kanone. Frontbericht eines Virtuosen (Wien 2015).

Der 11. Internationale Fritz Kreisler Violinwettbewerb  findet vom 18. bis 27. September 2026 statt.

Veranstaltungstipp: Galakonzert zum 150. Geburtstag von Fritz Kreisler
30. Oktober, 18.30 Uhr, Ehrbar Saal

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