Die drei Schauspielregie-Absolventen des Studienjahres 2024/25 im Interview
Am Anfang war bei allen der Stillstand. Die Schauspielregie-Studierenden des aktuellen Abschlussjahrgangs am Max Reinhardt Seminar – Manuel Horak, Lukas Schöppl und Florian Thiel – begannen ihr Studium mitten in der Pandemie. Aus der äußeren Starre erwuchs der innere Drang nach Erneuerung – mit den unterschiedlichsten Lebenswegen hinter sich traten die drei zur Aufnahmeprüfung für Schauspielregie am Max Reinhardt Seminar an und bestanden. Die unterschiedlichen Hintergründe der drei Regisseure spiegeln sich auch in ihren Diplomstücken wider, die im Studienjahr 2024/25 zur Aufführung gelangten und verschiedene Herangehensweisen aufwiesen. Im Interview mit dem mdw-Magazin sprachen die drei über die Inspirationen zu ihren Diplomprojekten, die Herausforderungen ihres Studiums am Max Reinhardt Seminar und ihre Wünsche für die Zukunft.

Endlich die mdw-Mensa von innen sehen – zwei der Schauspielregiediplomanden treffen wir in der kulinarischen Zentrale der mdw, der Mensa am Anton-von-Webern-Platz, die von Max-Reinhardt-Seminar-Studierenden aufgrund der geografischen Distanz nur selten genutzt wird. „Bei uns gibt es aber eh einen Automaten“, wird die Verpflegung an ihrem Standort dennoch positiv hervorgehoben. Bald müssen sich die Schauspielregiestudierenden mit derlei profanen Dingen aber ohnehin nicht mehr beschäftigen: Ihre Diplomstücke Glaube Liebe Hoffnung (Florian Thiel), Der Hofmeister – oder: Vorteile der Privaterziehung (Lukas Schöppl) und The Artist (Manuel Horak) wurden im vergangenen Semester aufgeführt und besiegelten fulminant ein vierjähriges Studium.
Das Theater zu den Menschen bringen
Von den Liebesirrungen eines Lehrers zu Sturm-und-Drang-Zeiten über einen „Totentanz“ im Dreißigerjahre-Sozialdrama bis hin zur Graphic Novel über das Künstlerdasein – die Jungregisseure spannten einen weiten thematischen Bogen und setzten bei der Auswahl der Stoffe unterschiedlichste Schwerpunkte. Die Inspiration dafür war bei jedem Einzelnen zutiefst persönlich und individuell:
Für Florian Thiel (32) war es Bremerhaven. Bewusst verortete er seine Inszenierung des berühmten Sozialdramas von Ödon von Horvath Glaube Liebe Hoffnung in die norddeutsche Hafenstadt und führte das Stück auch im dortigen Stadttheater auf. „Ich habe nach einem Format gesucht, wo man mit den Menschen hier auf eine besondere Art und Weise anknüpfen kann und ins Gespräch kommt, weil: Die Welt hier in Bremerhaven ist ganz anders als in Wien. Hier gibt es wirklich große Nöte, aber gleichzeitig auch einen großen Sozial- und Strukturwandel.“ Die Krisen der Gesellschaft merke man in dieser Stadt, die nach dem endgültigen Abzug amerikanischer Soldaten in den 1990er-Jahren ihre Funktion als zentrale Hafen- und Handelsstadt verlor, besonders deutlich. „Immer, wenn Wirtschaftskrisen entstehen, sterben Werften. Das ist hier vor Ort einfach spürbar“, meint der selbst aus Deutschland stammende Thiel. „Hier ist eben weniger Geld da und Kultur findet dementsprechend auch anders statt.“ Daher sei die Grundidee seines Diplomprojekts gewesen, die Möglichkeit zu schaffen, das Theater zu den Menschen zu bringen, was er insbesondere auch durch interaktive Publikumsgespräche im Anschluss an seine Aufführungen umsetzen konnte.
Die Familie bildet für mich die Gesellschaft im Kleinen ab.
Lukas Schöppl
Der 30-jährige Lukas Schöppl führt seine Inszenierung des Sturm-und-Drang-Stückes Der Hofmeister – oder: Vorteile der Privaterziehung unter anderem auf seine eigene Biografie – und auch auf Bertolt Brecht – zurück: „Das Stück ist ein deutscher Klassiker, der kaum noch aufgeführt wird. Auch Brecht hat das Stück in den 1950er-Jahren bearbeitet, und ich habe mich in der Zeit der Vorbereitung stärker für Brecht interessiert. Mit meiner Inszenierung wollte ich diese erste Tragikkomödie der deutschen Literatur entstauben und neu auf die Bühne bringen.“ So wurde Schöppl „thematisch angefixt“, wobei die Auseinandersetzung mit dem Thema Lehren und Lernen ihn auch aufgrund seiner eigenen (Familien-)Geschichte reizte: „Ich komme aus einer Lehrer_innenfamilie, meine Eltern und mein Bruder sind alle drei Lehrer_innen und ich bin der Erste, der nicht Lehramt studiert hat. Weil das Thema Lehren und Lernen in meiner Familie dadurch sehr präsent ist, setze ich mich auch in meiner Diplominszenierung damit auseinander. Die Entwicklung von Figuren, was sie selbst lernen und anderen beibringen können, und das Konfliktpotenzial der Lehrer_innen-Schüler_innen-Beziehung interessieren mich als Absolvent einer Kunstuniversität natürlich auch.“ Außerdem habe ihn auch die Tatsache gereizt, dass sich in einem Familiengefüge auch immer die Gesellschaft abbildet: „Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft sowie die Konflikte, die da entstehen, sind oft auch in familiären Kontexten verhandel- und darstellbar. Die Familie bildet für mich die Gesellschaft im Kleinen ab. Und deshalb kann man so viele Abhängigkeitsverhältnisse oder eben diesen Kampf zwischen Individuum und Kollektiv als Erstes in der Familie erfahren.“

Ich wollte die darstellende mit der bildenden Kunst verschmelzen.
Manuel Horak
Ganz anders gelangte Manuel Horak (29) zum Stoff seines Diplomstückes The Artist. Per Zufall fiel ihm bei einer Ausstellung in Hamburg die gleichnamige Graphic Novel von Anna Haifisch in die Hände. „Ich war letztes Jahr beim Körber-Festival für Junge Regie in Hamburg, aber nur als Gast. Nach dem dritten Tag suchte ich Abwechslung von den vielen Theaterstücken. In der Stadt hatte ich ein Plakat gesehen – da war einfach nur diese Zeichnung von The Artist. Ich fühlte mich sofort angesprochen und bin prompt ins Kunstgewerbemuseum gefahren.“ Die Ästhetik der Graphic Novel, die Teil einer Einzelausstellung der Künstlerin Anna Haifisch war, faszinierte Manuel Horak auf Anhieb. Einmal im Museumsshop erstanden, gab sie ihm die Initialzündung für sein Diplomprojekt. Die Idee, einen Comic auf die Theaterbühne zu bringen, war dabei besonders reizvoll: „Ich finde, gerade diese grafische Vorlage bietet sich total an für eine visuell starke Umsetzung auf der Bühne.“ Dabei konnte Horak seine Einflüsse aus der bildenden Kunst geltend machen: „Für den Abschluss am Max Reinhardt Seminar wollte ich die darstellende mit der bildenden Kunst verschmelzen. Ich habe das Gefühl, es wird immer entweder von der bildenden oder der darstellenden Kunst gesprochen, aber ich sehe da keine großen Unterschiede.“ Seine Vorliebe für diese Interdisziplinarität kommt auch daher, dass er selbst Malerei und Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst Wien studiert. Er sehe daher zwischen den beiden Gattungen keine Konkurrenz und habe das mit seinem Diplomprojekt, in dem aus einer Graphic Novel eine (mitunter auch zweidimensionale) dramatische Darstellung auf der Bühne wurde, verdeutlichen wollen.

Von der Freiheit und der Fantasie
Spricht man mit den drei Diplomanden über ihre Arbeit als Schauspielregisseure, fällt in unterschiedlichen Kontexten der Begriff Freiheit. Manuel Horak fühlt sich etwa als Regisseur im Theater freier als im Film: „Beim Theater gibt es für mich persönlich wesentlich mehr Freiheit als im Film, weil ein unausgesprochenes Abkommen zwischen Publikum und Darstellenden besteht: Wenn wir in einem Stück beispielsweise behaupten, wir befinden uns im Schloss von Versailles, dann sind wir einfach dort. Und dafür brauche ich keine Drehgenehmigung“, hebt Horak die Möglichkeit des Theaters hervor, die Grenzen der Realität selbst zu bestimmen und dabei der Fantasie Raum zu geben. Lukas Schöppl verortet hingegen gerade in der Begrenzung oftmals die Freiheit: „Ich finde, auch in der Einschränkung liegt manchmal Freiheit. Wenn man abgesteckt bekommt, innerhalb welcher Grenzen man sich bewegen kann, macht das oft frei.“ Das habe er an der Ausbildung am Max Reinhardt Seminar erlebt, wo er gleichermaßen künstlerische Freiheit sowie die einer Ausbildung immanenten Vorgaben genossen hätte. „Es ist natürlich eine große Freiheit, wenn man entscheiden kann, welche Projekte man macht. Für mein Vordiplom habe ich zum Beispiel ein Stück selber geschrieben und das war mir wirklich wichtig. Beim Diplom hingegen war es dann schon eine selbst auferlegte Einschränkung, nämlich, dass ich nicht etwas Selbstgeschriebenes mache, sondern dass ich ein Stück, das es schon gibt, bearbeite und für ein heutiges Publikum erfahrbar mache.“
Ich habe nie gedacht, dass ich in sowas reinpassen könnte.
Florian Thiel
Zu seiner komplexen Beziehung zur Schauspielausbildung und dem Freiheitsempfinden darin teilte auch Florian Thiel seine Gedanken: „Mein Studium war ein bisschen guerillamäßig. Man hat wahnsinnig oft Regeln gebrochen, von denen man vorher nicht wusste, dass es sie gibt.“ Dennoch habe er sich von den Professor_innen und der Institutsleitung am Max Reinhardt Seminar immer gut unterstützt gefühlt: „Auch was Stoffe angeht. Ich fand es immer ganz schön, dass es nicht so war: ‚Du musst jetzt etwas aus der Antike oder dies oder das machen.‘ Man war da relativ frei. Ich hoffe, das wird beibehalten.“ Grundsätzlich habe Thiel Kunstuniversitäten aber immer eher als „abgeschottete Institutionen“ empfunden, die ihn durch ihre „Nichtdurchlässigkeit und Intransparenz“ zunächst abgeschreckt hätten. „Ich habe nie gedacht, dass ich als Arbeiterkind in sowas reinpassen könnte. Ich weiß auch nicht, ob ich da wirklich dazu passe. Aber ich bin jetzt doch hier gelandet.“ Und zwar über eine Regieassistenz, in die er neben seinem ursprünglichen Beruf als Erzieher per Zufall reingerutscht ist. Dort konnte er viel Grundsätzliches über den Beruf lernen und „verschiedene Handschriften“ erleben. „Das war relativ eigenartig, weil ich so eine Art zu arbeiten nicht kannte. Sehr alte Schauspieler wie der mittlerweile verstorbene Otto Schenk spielten mit und Helmuth Lohner machte die Regie. Das war schon eine ganz besondere Raumenergie. Da bin ich dann irgendwie kleben geblieben.“
Welche Schwerpunkte möchten die Jungregisseure in ihrer zukünftigen Arbeit setzen, in welcher Art von Theater möchten sie wirken? Manuel Horak kann sich – unter anderem – jedenfalls vorstellen, noch weitere Comics zu inszenieren. Vor allem auch, weil diese besondere Verschränkung der Kunstgattungen im Theater nicht so oft stattfindet, was er auch in seiner wissenschaftlichen Recherche rund um das Diplomprojekt herausgefunden hat: „Wir haben im Vorfeld sehr viel geforscht zum Thema Comic am Theater und eigentlich nur zwei bis drei Bücher gefunden, die dieses Thema verhandeln.“ Statt klassischer Inszenierungen zieht es Manuel Horak eher zu provokanteren Formen: „An einem Zwei-Personen-Stück zu Macbeth habe ich mir einmal die Zähne ausgebissen“, lacht Manuel Horak, hingegen zöge es ihn, wie schon bei seinem Vordiplomstück Shoppen und Ficken, auch in Zukunft mehr zum In-your-face-Theater. „Das ist halt sehr extrem, dort geht es oft um Themen wie Drogenmissbrauch, Prostitution, Wohlstandsverwahrlosung. Es ist jedenfalls etwas, womit ich mich in Zukunft gerne mehr auseinandersetzen möchte.“ Besonders freut sich Horak nun auf das Festival Körber Studio Junge Regie 2025, das von 28. Mai bis 1. Juni in Hamburg stattfindet, zu dem er mit seinem Diplomstück eingeladen wurde. „Da, wo ich The Artist letztes Jahr entdeckt habe, bin ich jetzt selbst mit der Theater-Adaption dieses Comics“, freut sich Manuel Horak.
Auch bei Lukas Schöppl schließt sich der Kreis: Für seine zukünftige Arbeit nach dem Max Reinhardt Seminar erwartet er erstmal eine gewisse Ungewissheit, weil man nicht mehr so leicht eine Finanzierung aufgestellt bekäme, „aber man kann es auch als Herausforderung sehen und ein bisschen als Einschränkung der Freiheit, die ich ja gerade verteidigt habe“, lacht er. „Ich werde schauen, was mich interessiert und auch, was ich glaube, dass die Menschen interessieren könnte, und dann versuchen, eine gute Schnittmenge zu finden.“
Für Florian Karl Thiel ist klar: Wenn er von einem Theater träumt, dann ist es ein „dialogisches Theater, das nicht sagt: ,Hier sind wir auf der Bühne und machen etwas von oben herab.‘ Sondern, ein Theater, dass noch einen Anknüpfungspunkt zu den Menschen hat“. So wie er es in seinem Diplomstück Glaube Liebe Hoffnung bereits gemacht hat, könne man das Ideal des dialogischen Theaters vor allem „durch den Raumwechsel schon mal erreichen. Das kann man durch eine Themenauswahl erreichen. Und das kann man tatsächlich auch durch Gespräche erreichen.“ Wichtig sei ihm dabei, dass man sich als Theatermacher_in nicht als „Kulturelite“ verstehe, die sich selbst ständig erzähle, wie toll sie sei. Die Hauptsache – und auch das Politische – im Theatermachen liegt für Florian Thiel schließlich darin, „dass man jeden Tag mit der Welt in Berührung kommt und sich in Dialog begibt“.
The Artist in der mdwMediathek.