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mdw Gender- und Diversitätskompetenzmodell

Im mittigen Kreis steht geschrieben: kritische Selbstreflektion. Überlappend oberhalb ein weiterer Kreis in dem geschrieben steht: Wissen. Ebenso überlappend zum mittleren Kreis liegen links und rechts weitere zwei Kreise in denen einmal steht: Erkennen und im anderen: Handeln. Die drei äußeren, zum inneren Kreis überlappenden Kreise bilden ein Dreieck und sind durch Pfleile verbunden. Das Modell zur systemischen Erfassung bzw. Definition von Gender- und Diversitätskompetenz stellt demnach die "kritische Selbstreflektion" in den Mittelpunkt und Wissen, Erkennen, Handeln als Rahmen.

Modell zur systemischen Erfassung / Definition von Gender- und Diversitätskompetenz

Gender- und Diversitätskompetenz umfasst eine kritisch-reflektierte Praxis, die aktiv zu einem gerechteren hochschulischen Miteinander beiträgt und als Qualitätskriterium respektvolles und faires Lehren, Arbeiten und Studieren auszeichnet. Gender- und diversitätskompetentes Handeln an der mdw bedeutet, Unterschiede in Lebensrealitäten bewusst wahrzunehmen, in den eigenen Tätigkeitsfeldern diskriminierungssensibel zu agieren und universitäre Strukturen so zu gestalten, dass alle Angehörigen bestmöglich teilhaben können.

Für das eigene Tun und Wirken bringt diese Kompetenz entscheidende Vorteile: Lehrende erweitern unter anderem ihre didaktischen Handlungsmöglichkeiten und stärken ihre Fähigkeit, herausfordernde Situationen informiert, selbstreflektiert und verantwortungsvoll zu bewältigen. Forschende gewinnen einen differenzierteren und machtkritischen Blick auf ihre Forschungsdesigns, Fragestellungen und Zielgruppen. Studierende wiederum profitieren von einer diskriminierungskritischen Grundhaltung, die die Zusammenarbeit in heterogenen Lernumfeldern fördert, Zusammenhalt und Solidarität untereinander stärkt und sie dabei unterstützt, ihre künstlerisch-wissenschaftliche Praxis im Studien- und Berufsalltag mit einem ausgeprägten Bewusstsein für Privilegien und Diskriminierungen zu betrachten.


Gender- und Diversitätskompetenz setzt sich zusammen aus Kompetenzen auf den drei Ebenen: Wissen, Erkennen und Handeln. Gender- und Diversitätskompetenz beschreibt also die Fähigkeit,


sich Wissen über historisch gewachsene gesellschaftliche Ungleichheiten und Machtverhältnisse in Bezug auf Diversitätsdimensionen (Geschlecht, Race, Ethnizität, Klasse, sexuelle Orientierung, Behinderung u. v. m.) und Diskriminierungsformen anzueignen, und diese in ihren gegenwärtigen Erscheinungsformen in den Bereichen Wissenschaft, Kunst, kulturelle Produktion und (klassische) Musik kritisch anzuwenden


die eigene soziale Positionierung innerhalb dieser Machtgefüge sowie die Auswirkungen der eigenen Sozialisation (z. B. persönliche Werte, Normen, Erwartungen, Selbstverständlichkeiten und Vorurteile) zu erkennen 


… und aus diesen Prozessen konkrete Schritte für das eigene Handeln ableiten und in der Praxis umsetzen zu können. [1]


Notwendig für alle drei Handlungsebenen sind die Fähigkeit und der Wille zur kritischen Selbstreflexion. Selbstreflexion bildet somit die zentrale Basis für den Erwerb von Gender- und Diversitätskompetenz, der im vorliegenden Modell als zyklischer und dauerhafter Prozess — anstelle eines einmaligen, linearen Lernschritts — konzeptualisiert wird. Gender- und Diversitätskompetenz entwickelt sich also nur über Zeit und erfordert die kontinuierliche Re-evaluation der eigenen Annahmen, des Wissenstands und Handlungsweisen.

Die mdw nimmt hier auch Bezug auf die in den Empfehlungen der Hochschulkonferenz (HSK) beschlossene Definition von Genderkompetenz, die »das grundsätzliche Erkennen der Relevanz von Geschlechterzuschreibungen im eigenen Arbeits- und Wirkungskontext (Wissen) [erfasst]. Dieses Erkennen ist mit der Bereitschaft (Wollen) und der Fähigkeit verbunden, sich damit im Arbeits- und Studienalltag — gegebenenfalls unterstützt durch Genderexpert_innen und mit dem Wissen aus Geschlechtertheorien — auseinander zu setzen und daraus abgeleitet Handlungen zu setzen« [2].

 

Wissen

Wissen über Differenzkategorien und deren sozial konstruierte Natur bildet die Grundlage für den Erwerb von Gender- und Diversitätskompetenz. Zentral ist dabei die Erkenntnis, dass »Differenz« unter Menschen keine Naturgegebenheit bezeichnet, sondern sozial, politisch und kulturell produzierte hierarchische Zuschreibungen und Unterscheidungen. Diese dienen als Basis für die ungleiche Verteilung von Privilegien und Benachteiligungen zwischen Individuen und Gruppen: Sie bestimmen, wer Zugang zu Ressourcen wie frühkindlicher Förderung, Mentoring, familiäre Kontakte und Netzwerke, finanzielle Mittel oder Proben- und Aufführungsgelegenheiten erhält — und wer Positionen mit künstlerisch-wissenschaftlicher Autorität und Anerkennung besetzen kann.

Der Erwerb von Gender- und Diversitätskompetenz ist darauf ausgerichtet, die universitäre Musik- und Kunstausbildung innerhalb eines breiteren sozial-politischen Rahmens einzuordnen und sie kritisch als ein Feld zu betrachten, das von Macht- und Ungleichheitsstrukturen durchdrungen ist. Dieser stützt sich auf wissenschaftlich fundiertes, theoriegeleitetes Wissen zu den folgenden Aspekten:


die zentralen Kategorien der Differenz, entlang derer Diskriminierungen wirksam werden (z. B. Geschlecht, Klasse, Race, Ethnizität, Behinderung, sexuelle Orientierung oder Alter) und die historisch gewachsenen Machtgefälle, innerhalb derer sich diese ereignen (etwa Kolonialität, Klassismus, Ableismus oder Patriarchat) — hier liegt ein intersektionaler Ansatz zugrunde, der darauf abzielt, Mehrfachdiskriminierungen aufzuzeigen und zu verstehen


die Vielfältigkeit von Lebensrealitäten und Bedarfslagen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen sowie deren Diskriminierungserfahrungen (z. B. Lebensrealitäten von Menschen mit Migrationsbiografie oder prekärem Aufenthaltsstatus, Erfahrungen von queeren Personen oder die Relevanz familiärer Bildungs- und Einkommensverhältnisse für den Bildungszugang)


die verschiedenen Ebenen von Diskriminierungen — das heißt internalisierte, interpersonelle, institutionelle und strukturelle Ebenen [3] — sowie die Formen, die sie annehmen können, von offenen bzw. expliziten bis hin zu verdeckten bzw. impliziten Diskriminierungen.

Spezifisch für den kunstuniversitären Ausbildungskontext bedeutet dies eine differenzierte Auseinandersetzung mit …


Daten, Fakten und Erfahrungsberichten zu strukturellen Ungleichheitsverhältnissen, Stereotypisierungen, Über- und Unterrepräsentationen sowie Mehrfachdiskriminierungen im eigenen Tätigkeitsfeld (Lehre, Studium, Forschung, Verwaltung),


dem etablierten Kunst- und Kulturverständnis, unter anderem in Bezug auf normative Definitionen, Bewertungen und das Messen der Leitprinzipien Exzellenz, Ästhetik, Virtuosität oder Talent, sowie deren Auswirkungen auf Bildungs- und Karrierechancen und auf die alltäglichen Lebensrealitäten unterschiedlicher Personengruppen im Kunst- und Kulturbetrieb


der realen Vielfalt von Musiken, Traditionen, darstellenden Künsten, künstlerischen Subjekten und Wissensformen sowie deren Marginalisierung in höheren Kunst-, Musik- und Bildungsinstitutionen, wie es im Entwicklungsplan der mdw festgehalten ist — damit schließt die Auseinandersetzung mit Wissen auch die kritische Reflexion darüber ein, welche Formen von Wissen und Künsten überhaupt als legitim, relevant oder exzellent anerkannt gelten und somit den (klassischen) Kanon konstituieren dürfen.

 

Erkennen

Die eigene Position im sozialen Raum zu reflektieren und zu erkennen, welche Rolle eigene Werte, Normen, Einstellungen und Bilder im Alltag von Beruf und Studium spielen, eröffnet die Möglichkeit, eine diskriminierungskritische Haltung zu entwickeln. Ob als Individuum oder als Team, im Unterricht, Ensemble oder Forschungsprojekt, geht es dabei darum, den eigenen Wirkungsraum immer wieder dahingehend selbstreflektierend zu hinterfragen, was sich an unseren eigenen Strukturen, Inhalten und Handlungsweisen ändern kann, damit Menschen aus marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen hier gerne und gut tätig sein können. [4]


Selbstreflexion und kritische Erkenntnis im Sinne von Gender- und Diversitätskompetenz ist dabei ein Prozess, der eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den folgenden Aspekten und Fragen beinhaltet:


Eigene gesellschaftliche Positionierung entlang sozialer Differenzkategorien reflektieren:
Wie bin ich — entlang von Geschlecht, Herkunft, Sprache, Behinderung, Klasse, sexueller Orientierung oder Alter — in gesellschaftlichen und institutionellen Machtgefügen positioniert? Wie werde ich wahrgenommen? Übertragen auf mein Team, meine Arbeitsgruppe oder mein Umfeld: Welche Erfahrungen und Perspektiven sind vertreten — und welche fehlen? Wer kommt zu Wort und wessen Erfahrungen stehen im Zentrum?


Eigene Sozialisationsinstanzen und Privilegien erkennen:
Welche Instanzen und Erfahrungen — etwa bezogen auf Familie, Ausbildung, Medien, kulturelle Umgebung oder frühere Bildungseinrichtungen — haben mein Verständnis von Kunst und künstlerischer Qualität geprägt? Welche Werte, Normen und Stereotypen beeinflussen mein Denken, Fühlen und Verhalten im Studien- bzw. Berufsalltag — etwa in der Vorstellung von »idealtypischen« Studierenden oder Kriterien von künstlerischer Exzellenz? Welche Privilegien haben meinen Zugang zur Hochschule und Bildung, oder zu beruflichem Erfolg erleichtert — z.B. familiäre Unterstützung, finanzielle Sicherheit, weißsein oder Cisgeschlechtlichkeit. Bereits das erfolgreiche Absolvieren einer Aufnahmeprüfung oder das Bestehen im künstlerischen Wettbewerb setzt beispielsweise den Zugang zu kulturellem Kapital und bestimmten Ressourcen voraus. Privilegien zu erkennen, die in diesen Kontexten auf den ersten Blick oftmals unsichtbar erscheinen, ermöglicht eine Reflexion darüber, wie sich diese beispielsweise im Kontext von Aufnahmeprüfungen, Wettbewerben und Einstellungsverfahren auswirken.


Diskriminierungswissen auf den Studien-, Arbeits- oder Verantwortungsbereich übertragen:
Wie zeigen sich Macht- und Ungleichheitsstrukturen in meinem Umfeld? Welche Praktiken oder »Normalitäten« könnten Ausschlüsse reproduzieren — zum einen auf der inhaltlich-künstlerischen Ebene (im Opernstück oder im Drehbuch), sowie zum anderen durch Aspekte wie Leistungsdruck, Dresscodes, Zeitvorgaben oder Bewertungskriterien?


Auch scheinbar neutrale Strukturen (z.B. Bühnenformate, Arbeitszeiten, Prüfungsformen) beruhen auf sozialen Normen und Machtverhältnissen, die Ein- und Ausschlüsse im Kunsthochschulkontext mit hervorbringen. Nutzen Sie Ihre Erkenntnisse, um Veränderungen im eigenen Handlungsspielraum anzustoßen.

Wichtig dabei ist, zu erkennen, dass gute Intentionen nicht automatisch diskriminierungsfreies Verhalten bedeuten: Auch gut gemeintes Handeln kann ungewollt abwertend oder ausgrenzend wirken. Entscheidend ist, Verantwortung zu übernehmen, zuzuhören und aus Rückmeldungen zu lernen.

 

Handeln

Gender- und diversitätskompetentes Handeln bedeutet, diskriminierungssensibles Wissen und Reflexionsprozesse aktiv in die eigene Praxis zu integrieren. Das umfasst, unser Wissen und unsere Erkenntnisse aktiv in den Alltag und in Entscheidungen, Interaktionen und Strukturen an der Hochschule zu integrieren. Dabei geht es stets darum, die eigenen Entscheidungen, Routinen und Handlungsweisen kontinuierlich zu hinterfragen, anzupassen und zu reflektieren — ein dynamischer Prozess des fortlaufenden Lernens und Verlernens.

 

Ein zentraler Aspekt ist dabei die Analyse der eigenen Handlungsmacht:


Wo habe ich Handlungsspielräume, und wie kann ich diese gezielt einsetzen?


Wo stoße ich an Grenzen, und welche gesellschaftlichen, institutionellen oder strukturellen Bedingungen prägen diese?

 

Diese Analyse ist auf mehreren Ebenen bedeutsam [5]:


Internalisiert: Eigene Einstellungen, Privilegien, Werte und Stereotypen erkennen.


Interpersonal: Zwischenmenschliche Dynamiken und Machtverhältnisse im Team oder in Gruppen reflektieren.


Institutionell/Systemisch: Regeln, Normen, Organisationskultur und Prozesse der Hochschule kritisch hinterfragen.


Strukturell: Gesellschaftliche Machtverhältnisse und Ausschlussmechanismen erkennen, die auch auf Hochschulkontexte wirken.

 

Ziel ist es, Strategien zu entwickeln, um innerhalb dieser Ebenen handlungsfähig zu bleiben und die eigenen Möglichkeiten wirksam für gerechtere und inklusivere Strukturen zu nutzen.

 

Handlungsempfehlungen:


Eine gerechtigkeitsorientierte Haltung bildet die Basis für gender- und diversitätsbewusstes Handeln. Dazu gehört, die eigene (Macht-)Position immer wieder zu befragen und Verantwortung dafür zu übernehmen.


Differenzen wahrnehmen und respektieren, ohne Stereotypen zu reproduzieren. Ziel ist ein achtsamer, wertschätzender Umgang mit Vielfalt.


Sprache, Bilder und Kommunikationsformen prägen, wie Menschen wahrgenommen werden. Diskriminierungssensible Kommunikation bedeutet, bewusst inklusiv zu sprechen, zu schreiben und zu gestalten — etwa durch gendergerechte Sprache, vielfältige Bildauswahl oder barrierearme Materialien.


Veränderung gelingt besser im Team. Es ist wichtig, Verbündete zu suchen, Allianzen zu bilden und sich gegenseitig zu unterstützen — z.B. in bereits bestehenden Vertretungsorganisationen oder selbst initiierten Austauschgruppen. So können diskriminierende Strukturen in Organisationen, Bildungseinrichtungen oder Teams gemeinsam reflektiert und verändert werden.


Reflektieren Sie, wann zusätzliche Gender- oder Diversitätsexpertise erforderlich ist — etwa bei Konflikten, Konzeptentwicklungen oder Entscheidungsprozessen mit Diskriminierungsrisiko. Holen Sie bei Bedarf Beratung oder Fachwissen ein, z. B. von der Organisationseinheit Gleichstellung, Gender und Diversität oder dem AKG. Gender- und Diversitätskompetenz bedeutet nicht, »alles zu wissen«, sondern bewusst zu erkennen, wann Austausch und Unterstützung nötig ist und diese aktiv einzubeziehen.

 

 

Literatur & Quellen

[1] Vgl. Abdul-Hussein, Surur/Hofmann, Roswitha (2013): Diversitätskompetenz. erwachsenenbildung.at; Bargehr, Gabriele (2009). Diversitätskonzepte im Kontext politisierter Zugänge der Cultural Studies, In: Abdul-Hussain, Surur/Baig, Samira (Hg.): Diversity in Supervision, Coaching und Beratung. Wien: Facultas, S. 121-140.

[2] HSK (2018): Verbreiterung Von Genderkompetenz in Hochschulischen Prozessen: Empfehlungen Der Hochschulkonferenz - Langfassung. Wien: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, S. 36.

[3] In Anlehnung an »Race Forward« bzw. »Levels of Racism« -Modell. Vgl. hierzu: Jones, Camara Phyllis (2000): Levels of Racism: A Theoretic Framework and a Gardener's Tale, In: American Journal of Public Health, 90(8), S. 1212–1215; raceforward.org (o.D.): What is racial equity? – Understanding key concepts; DeZIM (2023): Rassismus und seine Symptome. Bericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors. NaDiRa-Bericht 2023. Berlin.

[4] Vgl. Mörsch, Carmen (2021): Diskriminierungskritische Perspektiven an der Schnittstelle Bildung/Kunst: Einführung, S. 14.

[5] Vgl. hierzu: Bargehr, Gabriele (2025): Machtkritisches Denken und Handeln in Organisationen. Multiperspektivische Herangehensweisen und Tools. In: Mayer, Ulli/Ellmeier, Andrea/Müller, Gerda (Hg.): üben und ver_üben. Diversität als diskriminierungskritische Praxis in Kunst, Kultur und Bildung. Bielefeld: Transcript.