Auf den ersten Blick ist ein Orchester eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, deren Zusammenspiel das Publikum in andere Sphären versetzen kann. Das mag pathetisch klingen, ist aber so. Wer etwa in dieser Saison im Wiener Konzerthaus die Darbietung von Tschaikowskys Symphonien vom St. Petersburger Mariinsky Orchester erlebt hat, weiß, was gemeint ist. Da setzt das Denken aus, da versinkt man in den Melodien, ohne es zu merken, da schweifen die Gedanken ab und plötzlich ist man in einer Welt, in der man die Spannung, die Verzweiflung, die Leidenschaft des Komponisten fühlen kann und das so intensiv, dass man nach dem Schlussapplaus glücklich und beinahe körperlich erschöpft nach Hause geht.

All das kann ein gutes Orchester bewirken und man würde kaum auf die Idee kommen, dass es ein streng hierarchisch strukturierter Arbeitsort ist, dass alles geregelt ist. Die Sitzordnung, der Einsatz, die Befehlsgewalt. Und dass alle Musiker_innen einer einzigen Person unterstellt sind: dem Dirigenten. Er ist in einer machtvollen Position und es ist kein Zufall, dass die Figur des Dirigenten bis heute als Symbol für den autoritären, narzisstischen, ichbezogenen Künstler gilt, an dem anderen zerbrechen können.

Doch der Tyrann am Dirigentenpult ist – erfreulicherweise – nicht mehr zeitgemäß. So haben erst kürzlich Mitglieder eines großen deutschen Orchesters öffentlich gegen ihren „Stardirigenten“ aufbegehrt und das Klima der Angst unter ihm angeprangert. Dadurch wurde eine längst fällige Debatte darüber ausgelöst, wie man im Orchester 2019 miteinander umgehen und arbeiten will und sollte. Ein schönes Beispiel boten da Bilder aus einem Film über die junge, mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra, die mit den Orchestermitgliedern auch einmal scherzt und die Ideen der Musiker_innen während der Probenarbeit lobt und aufnimmt, während sie umgekehrt ihre Kollegialität sehr schätzen. Es tut gut, zu sehen, dass sich die Zeiten ändern und das Ende der Tyrannen eingeläutet ist.

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