Rückschau: Im Mai 2006 fand die von Klara Harrer-Baranyi ins Leben gerufene Reihe Traditionen des Klavierspiels erstmals statt. Vorträge, Workshops, Meisterkurse, Podiumsdiskussionen und Konzerte sollten Synergien zwischen künstlerischem Musizieren, musikwissenschaftlicher Forschung und musikpädagogischem Tun nach der Idee schaffen, länderspezifische Klavierspieltraditionen einzugrenzen und zu definieren. Dies impliziert Internationalität: Polen, Frankreich, Ungarn, Russland und Deutschland waren die in den vergangenen Jahren diskutierten Nationen.

Elisabeth Leonskaja
Elisabeth Leonskaja ©Jean Mayerat

Rückblickend tun sich besondere Momente auf: Im Auftakt zu Polen (2006) erlebte man Mieczysław Tomaszewski in der auf Rezeptionsdokumenten bezogenen Analyse Chopin’scher Klaviermusik und fand das Erläuterte gleichwie die von Regina Smendzianka veranschaulichte Interpretationsästhetik im Unterricht Andrzej Jasińskis wieder. Der Diskurs zur Idiomatik französischer Musiktradition (2008) ist von der Abgrenzung Frankreichs zur deutschen Siegermacht im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) bestimmt. Dass jedoch viel mehr als nur reaktives Verhalten – provokant formuliert, ein Agieren aus „musikalischem Notstand“ heraus – dem Wesen französischer Musik gerecht wird, zeigt die weiter gefasste Werk- und Interpretationsgeschichte für Tasteninstrumente, die von den Clavecinisten (französisch clavecin = Cembalo; Anm. der Redaktion) des 18. Jahrhunderts eine Brücke bis in das 20. Jahrhundert schlägt. Olivier Baumont, Charles Timbrell und Georges Pludermacher demonstrierten dies eingehend.

Alfred Brendel
Alfred Brendel ©Philips & Benjamin Ealovega

Der Blick nach Ungarn (2010) zeigte Verknüpfungen von Musikpädagogik, Komposition und Klavierspiel. Eine Tradition, die in Bartók, Ligeti und Kurtág ihre Hauptvertreter findet und die im Symposions-Meisterkurs bei Ferenc Rados auf einer anderen Ebene wirksam werden konnte. Stalins Machtübernahme markiert einen eklatanten Bruch in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Eine Veranstaltung, die der Frage zu künstlerischen Traditionen in Russland (2012) nachgeht, muss daher unweigerlich eine „politische“ werden. Wie weit Schostakowitsch und Prokofjew zwischen „künstlerischer Autonomie und politischem Bekenntnis“ pendelten, beantwortete Dorothea Redepenning, während Stefan Weiss der Bedeutung Gubaidulinas Klavierkonzert Introitus nachging. Der Tradition des Moskauer Konservatoriums unter Nikolai Rubinstein widmete sich Eugenia Gurevich. Glanzpunkte setzte Elisabeth Leonskaja mit Konzert und Meisterkurs.

Besonders bei Deutschland (2014) wäre es aufgrund des Einwirkens vielfältiger künstlerischer Impulse von außen verfehlt, von nur einer „Tradition“ des Klavierspiels zu sprechen. Und dies, obwohl gerade der Begriff der „Deutschen Kultur“ markant konnotiert ist und die Musiksprache dieses Landes über Jahrhunderte in Europa bestimmend war. Den im ausgehenden 18. Jahrhundert geformten Begriff der Clavierschule erläuterte Mario Aschauer, Matthias Kirschnereit verdeutlichte die zuvor von Arnfried Edler skizzierte Differenzierung der Ästhetik zwischen Schumann und Brahms, während Ellen Corver Stockhausen als Galionsfigur der Internationalen Ferienkurse in Darmstadt porträtierte. Ausgehend von Wilhelm Heinrich Wackenroders Darstellungen setzte Christian Glanz dem so konstatierten „unreflektierten Gebrauch“ der Kategorisierung Romantik ein griffiges Gegenargument gegenüber. Dass der 2016 verstorbene bedeutende Pädagoge Peter Feuchtwanger 2014 noch Gast der Traditionen war, gibt im Rückblick den Tagen zu Deutschland eine ganz besondere Note.

Vorschau

Mit der im Mai 2017 stattfindenden Veranstaltung Traditionen des Klavierspiels – Österreich soll der Reihe nun ein Schlusspunkt gesetzt werden, der aufgrund der intensiven Verknüpfung österreichischer Klavierspieltradition mit der mdw wunderbar in das Jubiläumsjahr der Universität passt und mit Sicherheit zu einem der Highlights zählt. Das Ludwig van Beethoven Institut freut sich über eine außergewöhnliche Zusage: Alfred Brendel wird für zwei Vorträge am Haus zu Gast sein und über Mozarts Klavierspiel (Fr, 12. Mai) und Beethovens letzte Klaviersonaten (Sa, 13. Mai) sprechen. Als Besonderheit zeigt sich auch der Eröffnungsabend am 4. Mai: Christopher Hinterhuber und Johannes Marian repräsentieren konzertierend die beiden Klavierinstitute der mdw, Klara Harrer-Baranyi begibt sich gedanklich auf Spurensuche.

Peter Feuchtwanger
Peter Feuchtwanger ©Stefan Blido

Dem Meisterkurs kommt die Bedeutung zu, Theorie in der Praxis wirken zu lassen. Auch hier konnte mit Paul Badura-Skoda eine signifikante Persönlichkeit gewonnen werden. Stefan Gottfried geht der Tragweite des Standortes Wien für den Klavierbau interpretatorisch und theoretischtechnisch nach, während Johann Sonnleitner die Trias Hummel, Czerny und Mälzels Metronom unter die Lupe nimmt. Aspekte der Zweiten Wiener Schule und deren Nachfolgegenerationen sind Stefan Litwin in die Hände gegeben, Manon-Liu Winter wird aktuelle Tendenzen zu Klavier und Extended Piano erlebbar machen.

Mit dem Grundsatzreferat Clavierland Wien eröffnet Martin Eybl die wissenschaftlichen Beiträge. Diese untersuchen auch Gender-Aspekte: Ist Österreichs Klavierlandschaft männerdominiert? Ist eine mindere Präsenz von Frauen in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Klavier zu konstatieren, obwohl Frauen im pädagogischen Bereich eine höhere Anzahl repräsentieren als Männer? Zwei Spezialistinnen referieren: Kordula Knaus erörtert die Frage allgemein, um dannPianistinnen um 1800 vorzustellen und dabei auf Maria Theresia von Paradis zu fokussieren. Deren Zeitgenossin Marianna Martines zählt zu den weitgehend undokumentierten Protagonistinnen ihres Faches, hierzu wird Melanie Unseld neueste Forschungsergebnisse bringen.

Und auch der Nachwuchs soll nicht vergessen sein: Eine Podiumsdiskussion mit Gästen aus den Bereichen Konzertveranstaltung, Nachwuchsförderung und Musikschulwesen wird künftige Strategien für und an die Jugend adressieren.

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