Wenn man immer wieder für längere Zeit in das gleiche Land reist, nimmt man langsam, aber stetig andere Verhaltensweisen an. Die fremde Mentalität, die unbekannten Bräuche und Gepflogenheiten legen sich über einen wie ein feiner, dünner Mantel, der wärmt und schützt zugleich. Und sehr geborgen ist.

Ich habe im letzten halben Jahr rund zehn Wochen in Italien verbracht. Rom, Genua, Mailand, Ligurien, Toskana, kreuz und quer bin ich durchs Land gereist. Neben all den gängigen Klischees, die dann doch in Ansätzen stimmen, wie die große Kinderliebe, das ausgiebige Zelebrieren von Mahlzeiten, das ausgeprägte Stilbewusstsein, ist mir vor allem die Liebe der Italiener zur Musik aufgefallen. Sie wird nur noch übertroffen von ihrer Liebe zu den Musikerinnen und Musikern.

In Porto Santo Stefano, einem kleinen Küstenort in der Maremma, einer wunderschönen Gegend im Süden der Toskana, bekannt vor allem für den großen Naturpark und die wunderbaren wilden Strände, stand eines Abends eine Sängerin auf einem Parkplatz am Meer und sang Arien aus Puccinis La Bohème. Das Parken war wie in den meisten Touristengebieten Italiens kostenpflichtig. Doch anstatt den Automaten mit ihren Münzen zu füttern, warfen die meisten Anwesenden ihr Geld in den Hut, den die Sängerin vor ihre Füße gelegt hatte. Versonnen lauschten die Passanten den sich wiederholenden Liedern, klatschten begeistert Beifall und ermunterten ihre Kinder, der Sängerin Schokolade in den Hut zu legen. Ein kleines Mädchen setzte sich schließlich zu den Füßen der Sängerin auf den Boden und verputzte die Spenden ihrer Altersgenossen seelenruhig, während sie gebannt lauschte.

Als schließlich die Parkaufsicht kam, in Uniform und mit ernstem Blick, wurde der junge Mann von den anderen ermahnt, ruhig zu sein. Da stand er nun vor einer Reihe Autos ohne Parkschein, einer Gruppe Musikliebhaber und ein paar Kindern, die ihn böse ansahen. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf den Randstein zu setzen, zu warten bis die Sängerin ihre Vorstellung beenden würde und die Schokolade zu nehmen, die ihm von dem kleinen Mädchen zu ihren Füßen lächelnd gereicht wurde.

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