Im Rahmen des Praktikums „Jazz in Österreich“ (Leitung: Magdalena Fürnkranz, Institut für Popularmusik und Juri Giannini, Institut für Musikwissenschaft) wurden neben wichtigen Beständen aus Wiener Bibliotheken vor allem auch Nachlässe und Sammlungen aus den Archiven und Bibliotheken der mdw ins Licht gerückt. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Historie der ORF Big Band, deren Notennachlass seit 2018 in der Universitätsbibliothek der mdw aufbewahrt wird.

Notennachlass ORF Big Band
Die Ära von 1971 bis 1982, in der die ORF Big Band gegründet und schließlich aufgelöst wurde, kann als ein bedeutendes Jahrzehnt des österreichischen Jazz bezeichnet werden. Die ORF Big Band, die unter der Leitung von Erich Kleinschuster stand, engagierte international bekannte Größen des Jazz wie Art Farmer, Lee Harper, Jimmy Woode oder Wayne Darling. Diese verbrachten mitunter mehrere Jahre in Wien und trugen somit zur Förderung der Wiener Jazz-Szene bei.
Klaus Schulz hat in der Ö1-Sendereihe Jazztime Spezial im Jahr 2004 die ORF Big Band und ihr Tätigkeitsfeld mit folgenden Worten beschrieben: „Sie sollte ein Rundfunkorchester für alle musikalischen Anforderungen sein. Von der Fernsehquizsendung über das Begleiten von Stars der Schlagerbranche bis hin zum Jazz-Orchester. Erich Kleinschuster lag das Jazz-Repertoire der Big Band am meisten am Herzen.“1
Robert Demmer, Komponist und Trompeter der ORF Big Band, verdeutlicht im folgenden Zitat die beeindruckende Vielfalt an Persönlichkeiten, die aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Hintergründen in dieser Band zusammenfanden – vereint durch ihre gemeinsame Leidenschaft für das Instrument. „Kurz alle wissen es des alles, auch das Orchester jedenfalles, obwohl’s sehr bunt gewürfelt ist, vom Ami bis zum Sozialist, vom Teppen zu Intelligenten, verheirat’t mit den Instrumenten.“ 2
In einem Interview mit dem Grazer Jazzforscher Marcus Weberhofer spricht Fritz Ozmec, Schlagzeuger der Big Band, über die geforderte Vielseitigkeit der Musikstile: „Enorm abwechslungsreich. Man musste praktisch jeden Stil zu jeder Zeit drauf haben. (…) Und grad für Schlagzeug. (…) Also nirgendwo kommt das mehr zum Tragen als beim Schlagzeug. (…) Und das war schon, schon sehr, sehr aufwendig, weil man musste sich ja für alle, für alles interessieren, wollte sich auch für alles interessieren.“ 3
Nachlass Klaus Schulz
Der Nachlass von Klaus Schulz, Teil der historischen Sammlung des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, ist nicht nur ein Archiv von Schulz’ Leben und Arbeiten, sondern vor allem ein Archiv der österreichischen Jazzgeschichte. Klaus Schulz war Musikwissenschaftler, Autor, Radiojournalist und Musikmanager. Er baute in den fast 60 Jahren, in denen er sich leidenschaftlich mit Jazz befasste, eine beeindruckende Sammlung an Büchern, Fotos, Artikeln, Briefen und Zeitungsausschnitten über einige der wichtigsten Jazzmusiker_innen Österreichs und über die Rezeption des Jazz in Österreich auf.
Schulz fällt durch sein großes geschichtliches Wissen und seine persönlichen Verbindungen zur Jazzmusikszene auf. Durch seine Artikel zu Jazzbands und -clubs und zum Leben und Wirken einzelner Jazzmusiker_innen prägte er maßgeblich die Schaffung der österreichischen Jazzgeschichtsschreibung. Einen Schwerpunkt des Archives stellen Bestände zu Hans Koller und Fatty George dar, über die Schulz jeweils eine Biografie veröffentlichte. Von Hans Koller, dem Schulz einige Jahre als Manager zur Seite stand, finden sich außerdem persönliche Schätze, wie sein privates Adressbuch, das einen Einblick in seine Vernetzung mit anderen Jazzmusiker_innen gewährt.
Der Nachlass wartet darauf, durchstöbert zu werden und birgt sehr viel Material, um über die Geschichte des österreichischen Jazz zu forschen. Auch wird man hier zu bisher noch weniger bekannten Jazz-Phänomenen fündig: Man stößt auf Dokumente über den 1964 gegründeten Jazz-Club „Jazz bei Freddy“, in dem unter anderem das Fritz-Pauer-Quartett eine Live-Platte aufnahm, oder über die ab 1970 stattgefundene Einführung von Jazzmusik im ORF, oder über Jazz-Szenen außerhalb Wiens, von Graz über Linz bis Bregenz.

Vorlass Extraplatte
Das Firmenarchiv des Wiener Independent-Labels „Extraplatte“ ist Teil der historischen Sammlung des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung sowie der Mediathek des Instituts für Popularmusik, in welche wir im Zuge unseres Praktikums einige Einblicke gewinnen durften.
Extraplatte war ein unabhängiges österreichisches Musiklabel sowie Produktionsfirma, Verlag und Vertrieb. Extraplatte wurde 1977 rund um den Wiener Folk-Club Atlantis gegründet und versorgte 35 Jahre lang Liebhaber_innen von Musik abseits des Mainstreams. Harald Quendler übernahm zwei Jahre nach der Gründung das Label und führte es bis zur Betriebsschließung im Jahr 2013.
Quendler selbst bezeichnet Extraplatte als sein Lebenswerk, er habe vielen Musiker_innen in Österreich erste Produktionsmöglichkeiten geboten, sie angespornt und ihnen Mut gemacht. Neben der engen Zusammenarbeit zwischen Künstler_innen und Label lebte er das Prinzip des „Alles-Machens“ – von der Aufnahme über die Gestaltung von Cover und Textheft bis hin zu Promotion, Marketing und Vertrieb. Das Extraplatte-Repertoire reichte von zeitgenössischer Konzertmusik über neue Volksmusik bis hin zu heimischem Jazz, Folk und Rock sowie brasilianischer Musik, die in den 1990er-Jahren besonders in Wien blühte.4 Extraplatte war ein Nischenanbieter für Innovatives, Schräges und Exotisches und hat den heimischen Musikmarkt nicht nur ergänzt, sondern bereichert. Der Fokus lag stets klar abseits des gängigen Konsuminteresses. Quendler selbst bezeichnete das Angebot seines Labels als „Musik abseits der Hitparade“ – es ging um „Musik aus allen musikalischen und geografischen Gegenden, ohne dass das Programm […] je beliebig wirkte“5. Doch die Nachfrage und der Markt in Österreich waren zu klein, sodass das Unternehmen, dessen Plattenladen sich auf der Währinger Straße 46 befand, 2013 insolvent wurde. In den 35 Jahren ihres Bestehens gehörte Extraplatte zu den wohl wichtigsten Veröffentlichungsplattformen – insbesondere für die Liedermacher_innen-Szene, für Jazz und für die sogenannte „World Music“ in Österreich.
Der Jazz in Österreich mag auf den ersten Blick als ein Nischenphänomen erscheinen, doch die Entdeckungsreise durch die Archive und die intensive Auseinandersetzung mit der ORF Big Band zeigen: Er war und ist ein zentraler Bestandteil der kulturellen Identität des Landes. Die lebendige Jazzszene der 70er- und 80er-Jahre ist noch längst nicht vollständig erforscht, und das Seminar hat den Weg für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser bedeutenden Ära bereitet.
Hörtipps:
- Stefanie & ORF Big Band – Compared To What. Record Shack – RS.45-066DJS
- Vienna Art Orchestra – Jessas Na ! Extraplatte – EXS15
- Hans Koller Quartet – Multiple Koller. L+R Records – CDLR 71026, Bellaphon – CDLR 71026. Liner Notes: Klaus Schulz
Text: Elena Faderl, Matthäus Gabriel Huisbauer, Viktoria Oberndorfer
- Klaus Schulz: Typoskript „80 Jahre Radio in Österreich“, Folge 5 zu: Sendereihe Jazztime Spezial, 2004 (IMI, Historische Sammlung, Nachlass Klaus Schulz).
- Demmer, 1975 aus dem Familienarchiv Demmer, Wien
- Fritz Ozmec in einem unveröffentlichtem Interview mit Marcus Weberhofer (2023)
- Neuhauser, Michael. Extrafeine Extraplatten (Spielräume Spezial). Ö1. oe1.orf.at/programm/20240728/763995/Extrafeine-Extraplatten (Zugriff: 28. 2. 2025)
- Lohberger, Paul. 30 Jahre Extraplatte. Skug. skug.at/30-jahre-extraplatte (Zugriff: 28. 2. 2025)