Gastvortrag: Adrian Kleinlosen - Der Klang der Algorithmen?

Klingt Musik, die mithilfe von Algorithmen komponiert wurde, anders als andere? Gibt es gar, unbenommen aller stilistischen Idiosynkrasien, eine spezifische Klanglichkeit algorithmisch generierter Musik? Und wenn ja, was sind die melodischen, harmonischen, rhythmischen, morphologischen und satztechnischen Eigentümlichkeiten algorithmischer Musik? Wer so fragt, muss weiter fragen.
Zum Beispiel: Welche historischen Vorläufer algorithmischen Komponierens gibt es? Spezifischer: Welche Musikwerke des Mittelalters, der Renaissance, des Barock, der Vorklassik, Klassik, Romantik und Moderne wurden mithilfe algorithmischer Verfahrensweisen komponiert und inwiefern unterscheiden sich diese Werke in klanglicher Hinsicht von jenen derselben Komponist_innen oder auch von Werken ähnlichen Typs anderer Komponist_innen? Oder auch allgemeiner: Finden die auf die musikalische Materialgenerierung zielenden kompositorischen Prozesse immer und notgedrungen ihren Aus- und Abdruck in den klanglichen Oberflächenstrukturen der Musikwerke? Oder auch: Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns an die algorithmischen Verfahrensweisen erwachsenen spezifischen materialen und strukturellen Zusammensetzungen zuallererst »gewöhnen« müssen, bis wir sie als »natürlich« empfinden? Ist die gesamte Fragestellung vielleicht allzu sehr an unsere noch unzureichenden Erfahrungen mit algorithmischer Musik gebunden?
Anhand einer Reihe musikalischer Beispiele möchte ich derlei Fragen zu beantworten bzw. zur Diskussion zu stellen suchen. Dabei werde ich, der ich aus meinen künstlerischen Schaffensprozessen gemeinhin kein Geheimnis mache und dabei auch Werke, die noch im Entstehen begriffen sind, zur Disposition stelle, auch auf meine eigenen kompositorischen Arbeiten eingehen, vor allem auf mein elektroakustisches Werk mv2:k (2022-23), das ich in einer umfangreichen 300-seitigen Text-Partitur in Bezug auf seine technische und ästhetische Entwicklung dokumentiert habe. In diesem Zusammenhang möchte ich außerdem zeigen, wie Komponist_nnen und, die über keine oder nur wenig Vorkenntnisse im Programmieren verfügen, sich die verschiedenen Programmierumgebungen (und deren Schnittstellen) für ihre eigene kompositorische Arbeit zu Nutzen machen können.

Adrian Kleinlosen ist Komponist und Musikwissenschafler und lebt in Hamburg. Er studierte Jazzposaune in Graz, Komposition in Luzern, Leipzig und Santa Cruz (USA) und promovierte 2021 mit einer musikwissenschaftlichen Arbeit zum Thema »Morphologie in der Musik«. Im Mittelpunkt seines kompositorischen Schaffens stehen strukturelle Fragen und die Arbeit mit Algorithmen. Kleinlosen komponiert Instrumentalmusik, Vokalmusik, Elektroakustische Musik und Computermusik. Seine Musik wurde von namhaften Interpreten aufgeführt, u.a. von Ermis Theodorakis. Des Weiteren nahm Kleinlosen teil an Workshops (u.a. am Composer Workshop der Lucerne Festival Academy 2017) und Weiterbildungen; seit 2013 erhielt er Arbeits- und Aufenthaltsstipendien, zuletzt am Deutschen Studienzentrum in Venedig. Außerdem wurden seit 2014 von ihm Artikel, Essays, Kritiken, Gespräche, ein Buch und ein Podcast veröffentlicht.



 

 

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