Zur finanziellen Situation freischaffender Musiker_innen in Zeiten von Covid-19

Balkonkonzerte gegen soziale Distanz. Gratis-Streamingangebote von Opern- und Konzerthäusern. Virale Musikvideos bringen uns zum Lachen. Die Medien sind voll von Berichten über Auftritte im Netz und digitalen Charity-Konzerten. Musik spendet in der Krise Trost und macht das Alleinsein erträglicher.

Für viele Musikschaffende verschärft die Coronakrise jedoch die strukturellen Defizite in der freien Musikszene. Die Musiknation Österreich steht für etablierte, meist (ehemals) staatliche Großinstitutionen, die einen guten Teil der großzügigen Subventionen erhalten und deren Marktmacht und Reputation auch die sogenannte freie Szene maßgeblich beeinflussen. So stehen beispielsweise sehr gut verdienenden Musiker_innen in Berufsorchestern oder -chören häufig zahlreiche weitere Verdienstmöglichkeiten in der freien Szene oder im Ausbildungsbereich offen, während freischaffende Musiker_innen ohne die Sicherheit eines Anstellungsverhältnisses bleiben, obwohl sie denselben Orchestern als Substitut_innen systemerhaltend dienen. In der freien Szene herrschen prekäre Arbeitsverhältnisse und Einkommensportfolios aus verschiedenen musikbezogenen und manchmal auch nicht-musikbezogenen Beschäftigungen vor.

Die österreichische Regierung verspricht in ihrem Programm für 2020–2024 die Schaffung von Rahmenbedingungen, die „gleichermaßen Innovation wie Planungssicherheit und soziale Unterstützung für Künstlerinnen und Künstler ermöglichen“ (Regierungsprogramm 2020–2024, S. 23). Dies mag auf den stark subventionierten Bereich zutreffen, wirkt jedoch angesichts der Situation, in der sich viele freischaffende Musiker_innen aktuell befinden, zynisch. Denn die in der vorhergehenden Regierung verstärkten neoliberalistischen Marktpraktiken, die das Risiko fast komplett auf die ausführenden Akteure im Music Business überwälzen, bleiben weiter bestehen.

Mitte März 2020 hat das österreichische Parlament die Versammlungsfreiheit eingeschränkt und damit ein Veranstaltungsverbot geschaffen, das uns noch die kommenden Monate begleiten wird. Fast alle österreichischen Dienstorchester haben ihre Musiker_innen mit Anfang April in Kurzarbeit geschickt – damit bleiben diesen mindestens 80 Prozent des Gehalts und ihre finanzielle Sicherheit. In der freien Szene hingegen sind fast alle Einkommensmöglichkeiten weggebrochen. Bereits gebuchte Substitut_innen für die Dienstorchester gehen leer aus. Veranstaltungen – darunter das lukrative Oster- und Sommergeschäft – wurden zumeist ohne Entschädigung abgesagt, bestenfalls verschoben. Digitaler Musikunterricht wird häufig nicht akzeptiert. Aufnahmen beschränken sich auf das eigene Studio. Rücklagen gibt es häufig keine, dafür waren bereits die bisherigen Verdienste zu niedrig. Geringfügige Beschäftigungen in Kulturinstitutionen entfallen. Künstlerische Entwicklungs- und Übemöglichkeiten sind stark reduziert.

Gleich zu Beginn der Einschränkungen hat das Institut für Kulturmanagement (IKM) der mdw vom 13. März bis 13. April eine Online-Befragung durchgeführt, um ein Gefühl für die Größenordnung der Verdienstentgänge für den ersten Monat der Absage aller Veranstaltungen zu erhalten und die Strukturen der freien Szene sichtbar zu machen.

201 freischaffende Musiker_innen (aller Genres) haben den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Gefragt wurde nach zum Zeitpunkt des Ausfüllens bekannten Verdienstentgängen bis zum 13. April je Veranstalter_in. Die tatsächlich entstandenen Schäden sind daher mittlerweile deutlich höher. Es handelt sich um einen kleinen, nicht repräsentativen Ausschnitt von Betroffenen, doch ihre Angaben sind ernüchternd. In Summe wurden 2.552 entfallene Veranstaltungstermine und Verdienstentgänge pro Veranstalter_in bzw. Auftraggeber_in von 40 bis 40.000 Euro (Auslandsauftritte in Japan) in einer Gesamthöhe von knapp 550.000 Euro angeführt. Nur 15 Veranstalter_innen haben zumindest teilweise (bspw. Proben) entschädigt. Viele Befragte sprechen bereits im April von einer „existenzbedrohenden Situation“, in der sie ihre laufenden Kosten nicht decken können, und beklagen die „hohe Ungewissheit“.

Die IG Kultur hat eine Online-Befragung unter Veranstalter_innen durchgeführt. 368 Vereine und Veranstalter_innen nennen 4.000 abgesagte Veranstaltungen, 291 Fragebögen beziffern den finanziellen Schaden bis 13. April mit 4,5 Mio. Euro. Bei Weiterführung der von der Regierung getroffenen Maßnahmen bis Ende Juli wird der Schaden auf 10,7 Mio. Euro geschätzt. Um diesen abzufedern, werden Mietverträge und Mitarbeiter_innen gekündigt und geplante Aktivitäten eingestellt. Schon vor der Krise sind in etwa nur ein Viertel der Mitarbeiter_innen angestellt, der Rest sind Selbstständige.

Die nach einer ersten Schockstarre zahlreich eingerichteten Hilfsmaßnahmen können den entstandenen Ausfall nicht decken und helfen bürokratischer und langsamer als versprochen. Als EPUs können Freischaffende beim Härtefallfonds der Bundesregierung um maximal 6.000 Euro ansuchen – für einen Verdienstentfall bis voraussichtlich 31. August (Stand Mitte April 2020). Viele Künstler_innen erfüllten zumindest in Phase 1 die Voraussetzungen nicht. Eine Alternative (beides geht nicht) stellt der mit 5 Mio. Euro dotierte Covid-Fonds der Künstlersozialversicherung dar. Nach den Angaben auf der Website mit Stand 21. April wurden knapp 636.500 Euro an 882 (von 2.559) Personen ausbezahlt, das sind im Schnitt je 722 Euro an 34 Prozent der Antragsteller_innen. Hier hat die Phase 2 noch nicht begonnen.

Auch die medial wirksamen digitalen Angebote sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits schaffen sie begehrte, manchmal bezahlte Auftrittsmöglichkeiten, wenngleich vor leeren Zuschauerräumen (wie z. B. der Jazz-Zustellservice des Porgy & Bess mit „pay as you wish“ oder die Moments Musicaux des Wiener Konzerthaus). Im Radio wird, oft zu Randzeiten, vermehrt Musik aus Österreich gespielt. Andererseits liegt die Befürchtung nahe, dass die aktuelle Diskussion und Berichterstattung in der breiten Öffentlichkeit und Politik ein falsches Gefühl der Sicherheit erzeugt, indem sie auf den geförderten Kulturbereich oder bekannte Musiker_innen, die Songs wie We are the world einspielen und -singen, fokussiert. Denn größtenteils sind Online-Aktivitäten nicht mit nennenswertem Einkommen über längere Zeiträume verknüpft. Nachhaltige digitale Einkommens- bzw. Erlösmodelle sind selten.

Viele freischaffende Musiker_innen arbeiten ohne Sicherheitsnetz. Dies geschieht nicht aus Leichtsinn, sondern weil Gagen häufig zu niedrig sind, Verträge nicht immer schriftlich und zumeist als Werkverträge geschlossen werden – eine im Kontext von Konzertaufträgen fragliche Praxis. Nun sind diese Musiker_innen auf ausreichende und leicht zugängliche finanzielle Unterstützung angewiesen. Die freie Musikszene benötigt jedoch für eine gesicherte Zukunft dringend nachhaltige Maßnahmen und Konzepte, die Information, Planungssicherheit und angemessene Entlohnung, zum Beispiel in Form von Mindesthonorarsätzen – zumindest im geförderten Bereich – und einer Vermeidung von Scheinselbstständigkeit, gewährleisten. Sonst wird es auch nach Corona nicht gut.

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