Kunsträume-Interview: Georg Friedrich Haas


"KomponistInnen müssen sich klar sein, welche musikalischen Ereignisse sie erträumen!"


Georg Friedrich Haas im Gespräch mit Daniel Ender

Georg Friedrich HaasFoto: ©Substantia Jones


Herr Haas, was am Komponieren kann man lehren und lernen?

Als ich meine Tätigkeit als Kompositionsprofessor an der Musikhochschule in Basel beendete, verabschiedete ich mich von meinen Studierenden mit den Worten: "Macht, was ihr wollt! – Aber seid euch ganz sicher, dass ihr das wollt, was ihr macht!" Ich verstehe die Aufgabe des Kompositionsunterrichts darin, die Studierenden fähig zu machen, ihre ureigensten klanglichen und musikalischen Wünsche zu verwirklichen.

Dabei gilt es, zweierlei Schwierigkeiten zu meistern: Einerseits die Ängste und Barrieren zu überwinden, die uns allen durch Erziehung, Studium und andere Vorgaben unserer Umgebung vermittelt werden. Und andererseits den Fallen des bequem zu Notierenden zu entgehen, sowie den Versuchungen zu widerstehen, in den von anderen schon vorgetretenen Pfaden gemächlich weiterzustapfen.


Wenn Sie sich an Ihren eigenen Kompositionsunterricht erinnern: Was waren die prägendsten Eindrücke?

Ich wuchs im Spannungsfeld zwischen Neotonalität und Postserialität auf. Die Auseinandersetzungen waren heftig. Ich verstand aber sehr bald, dass meine Musik über beides hinauswachsen müsste. Am Ende meines Studiums in Graz fasste ich in einem Saxophonquartett alles zusammen, was ich hier gelernt hatte und gab dem Stück den Titel musiques passées. Das Werk ist übrigens so schlecht, dass ich es seit Jahrzehnten nicht mehr aufführen lasse.

Während einer Sitzung in Graz (ich war als Studentenvertreter aktiv) bemerkte einer meiner Lehrer in leicht gekränktem Unterton "Haas ist nämlich MEIN Schüler, auch wenn das jetzt nicht den Anschein hat." In diesem Moment habe ich mir geschworen, selbst niemals meine Studierenden als meinen persönlichen Besitz aufzufassen.

Im Unterricht von Friedrich Cerha begann ich dann zu begreifen, wohin es weitergehen könnte. Er lehrte mich, der Kraft meiner musikalischen Träume zu vertrauen. Und er hinterfragte vorgefasste, mich beengende Vorurteile.

Georg Friedrich HaasFoto: ©Substantia Jones


Was heißt denn "Ein Stück ist schlecht"?

Als die Spättonalen in Österreich begriffen, dass ihnen ihre Felle davonschwammen, erfanden sie das Schlagwort "einfach gute Musik". So, als gäbe es "gute Musik" unabhängig von der innovativen Kraft und unabhängig von der existentiellen Notwendigkeit des Ausdrucks.

Die Meisterwerke der Vergangenheit – das war niemals "einfach gute Musik". Das war immer Musik, deren Schöpfer sich ihrer historischen Position bewusst waren und die von einer elementaren inneren Notwendigkeit des Formulierens einer emotional und rational intensiven "Klangrede" (Nikolaus Harnoncourt) getrieben gewesen sind.

Aber es gibt "einfach schlechte Musik". Musik, die aus Versatzstücken der Vergangenheit zusammengebastelt ist. Auch, was vor 25 Jahren modern war, ist heute Vergangenheit. "Einfach schlechte Musik" ist Musik, deren Proportionen nicht stimmen, deren Urheberinnen und Urheber nicht im Klang denken, sondern lediglich das aufschreiben, was sie gerade noch notieren können, wo die Töne "gesetzt" werden und nicht leben dürfen.


Wie hat sich das geistige Klima in Graz und Wien in den letzten Jahrzehnten gewandelt?

An den Musikuniversitäten sind die alten Kleingeister emeritiert (allerdings wurden sie ab und zu durch neue ersetzt). Trotzdem: Alles ist viel offener geworden. Was die Studierenden betrifft: An die Stelle der braven Tonalitätsbubis meiner Studienzeit ist jetzt eine neue Generation von epigonalen Tonsetzern und Tonsetzerinnen getreten, MusterschülerInnen, die ihre "Avantgarde"-Techniken eifrig studiert haben und jetzt den Professoren und Professorinnen beweisen wollen, das sie brav gelernt haben, wie "man" neue Musik zu machen hat.


Wie kann man denn Ansatzpunkte finden, um "neue" Musik zu machen?

"Man" kann es nicht. Alles, was "man" machen kann, ist nicht neu. Die Ansatzpunkte sind in uns. In uns Komponistinnen und Komponisten.


Was unterscheidet die Arbeit an einer Kunsthochschule in den USA von Europa?

Wenn ich den österreichischen Begriff "Inhaber eines Lehrstuhls" ins Englische übersetze, habe ich den Lacherfolg garantiert: "Owner of a teaching chair". Amerikanische Universitäten verstehen sich als Dienstleistungsbetriebe an den Studierenden. Nicht als Bastionen der Wissensvermittlung. Und man kann fachlich völlig verschiedener Meinung sein und trotzdem nicht nur kollegial, sondern auch menschlich bestens harmonisieren.

Ein Kollege, den ich auf diesen Unterschied ansprach, meinte dazu lakonisch "We call this democracy". Ich habe mehr Zeit in den USA, um zu komponieren, als ich in Europa hatte. Viel mehr Zeit. Und ich spüre an der Columbia University ein ehrliches Interesse an meiner Kunst.


Wie können sich Studierende ideal vorbereiten, die mit Ihnen zusammenarbeiten möchten?

Am besten ist es, sie tun, was sie wollen und bereiten sich darauf vor, mir zu beweisen, dass sie das wirklich wollen, was sie tun. Anders ausgedrückt: Sie sollten sich klar sein, welche klanglichen und musikalischen Ereignisse sie erträumen – und sich selbstkritisch fragen, inwieweit das von ihnen Notierte mit dem von ihnen Erträumten übereinstimmt.


Interview: Daniel Ender

Das Interview ist in der Kunsträume Ausgabe #3-2015 erschienen.



Veranstaltungshinweis


Dienstag, 7. Juni 2016
Komponistengespräch mit Georg Friedrich Haas
Konzert Webern Ensemble Wien
Werke von Georg Friedrich Haas
Leitung: Jean-Bernard Matter

18.00 Uhr (Komponistengespräch)
19.30 Uhr (Konzert)
Arnold Schönberg Center
Schwarzenbergplatz 6
1030 Wien


Mittwoch, 8. Juni 2016
Konzert Webern Ensemble Wien
Werke von Georg Friedrich Haas
Leitung: Jean-Bernard Matter

18.00 Uhr
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Joseph Haydn-Saal
Anton-von-Webern-Platz 1
1030 Wien