Musiktherapie-Ausbildung an der mdw


Zur Historie der Musiktherapie-Ausbildung an der mdw


Musiktherapie-AusbildungFoto: ©shutterstock.com / Martin Bowra

"Ich weiß nicht, wer Sie sind, noch was Sie hier wollen. Aber ich begrüße Sie herzlich, denn Sie tragen eine Geige bei sich, und das ist ein sehr freundlicher Anblick in diesem Haus."

Mit diesen Worten wurde Ende der 50er-Jahre eine Musiktherapeutin von einer Ärztin in einem psychiatrischen Krankenhaus in Wien begrüßt – zu einer Zeit, in der ein Musikinstrument in einer Klinik nicht nur ein „freundlicher“, sondern vor allem ein ausgesprochen ungewohnter Anblick gewesen sein muss. Diese Musiktherapeutin war niemand anderes als Editha Koffer-Ullrich, die spätere Gründerin der Musiktherapie-Ausbildung an der mdw.

Editha Koffer-Ullrich hatte in den 1920er-Jahren ihr Geigenstudium mit Auszeichnung an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst abgeschlossen und später – während eines mehrjährigen Afrika-Aufenthaltes – angefangen, sich für die Rolle von Musik in traditionellen Heilungsritualen zu interessieren. Auch aus den USA, wo Musiktherapie nach dem zweiten Weltkrieg bereits zur klinischen Behandlung von posttraumatischen Störungen bei Veteranen eingesetzt wurde, nahm sie Ideen mit, die schließlich in der Gründung der "Österreichische Gesellschaft zur Förderung der Musikheilkunde" mündeten.

In diesem Zusammenhang formulierte Koffer-Ullrich auch ihre Vision einer akademischen Musiktherapie-Ausbildung an der damaligen Akademie für Musik und darstellende Kunst:

"Wien, mit Medizin und Musik durch alte Tradition aufs engste verbunden, ist berufen, dazu einen besonderen Beitrag zu leisten. Zum Vorteil der leidenden Menschen sollen in unserer Heimatstadt beide Disziplinen in Theorie und Praxis, im Krankenhaus und in der Forschung zusammenwirken."
(Koffer-Ullrich, 1958, zitiert nach Mössler, 2008, S. 19)


Musiktherapie Ausbildung Werbeplakat zum "Sonderlehrgang für Musik-Heilkunde" aus dem Jahr 1965 ©Österreichische Nationalbibliothek

Mithilfe der Unterstützung namhafter Persönlichkeiten aus Kultur, Medizin und Politik gelang es Koffer-Ullrich bereits ein Jahr später, im WS 1959, den "Sonderlehrgang für Musikheilkunde" einzurichten – ein Abendkurs über vier Semester, verbunden mit einem 6-monatigen klinischen Praktikum. Damit wurde Wien zum Vorreiter der ersten akademischen Musiktherapieausbildungen in Europa.

Zu den ersten AbsolventInnen dieser neuen Musiktherapie-Ausbildung gehörte Alfred Schmölz, ein Klavierpädagoge, der Anfang der 1970er-Jahre die Leitung des Lehrgangs für Musiktherapie übernahm. Schmölz prägte nicht nur den Begriff der "Wiener Schule der Musiktherapie"; die auf ihn zurückgehenden dialogischen Improvisationsformen wie "Partnerspiel an der Pauke" oder das "Einzeltonspiel am Klavier" gehören noch heute zum Repertoire der Spielformen, die in der Wiener Musiktherapie-Ausbildung gelehrt werden. Vor allem im "Partnerspiel" lag das Potenzial für eine später vollzogene Annäherung an die Disziplin Psychotherapie.

Nach der Pensionierung von Schmölz übernahm Lothar Imhof die Leitung für wenige Semester. Dieser Interimszeit folgte eine längere Phase ohne Musiktherapie-Professur. In dieser Periode, in der das Musiktherapiestudium mehr als einmal vor dem Aus stand, sorgten eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen (aus der Musiktherapie, aber auch von benachbarten Abteilungen) dafür, dass die Ausbildung überhaupt weitergeführt werden konnte.

Inzwischen ist aus dem "Sonderlehrgang" ein 4-jähriges Diplomstudium geworden; seit 2013 existiert ein Doktoratsstudium (PhD) mit derzeit vier PromovendInnen. Während der vergangenen 57 Jahre haben in Wien über 450 Studierende das Musiktherapiestudium erfolgreich abgeschlossen. Nicht wenige AbsolventInnen sind mittlerweile als StudiengangsleiterInnen an anderen europäischen Universitäten tätig – Augsburg, Berlin, Heidelberg, Leuven, Zürich – und haben das Konzept der "Wiener Schule der Musiktherapie" tradiert und weiterentwickelt

Dieser musiktherapeutische Ansatz, der auf der einen Seite immer schon medizinisch-klinisch ausgerichtet war und auf der anderen Seite mit einer humanistisch-psychodynamischen Orientierung einherging, stellt auch heute noch die Basis einer modernen und zukunftsorientierten Musiktherapie-Ausbildung dar. Die Integration von sowohl Selbsterfahrung als auch klinischer Praktika im Curriculum, verbunden mit anspruchsvoller Theorie und einer intensiven musikalischen Ausbildung ist in dieser Form europaweit einzigartig.


Text: Thomas Stegemann

Dieser Text ist in der Kunsträume Ausgabe #2-2016 erschienen.



Literaturempfehlungen zur Musiktherapie-Ausbildungsgeschichte an der mdw:

  • Fitzthum, E. (2003). Von den Reformbewegungen zur Musiktherapie: Die Brückenfunktion der Vally Weigl. Wiener Beiträge zur Musiktherapie (Bd. 5). Wien: Edition Praesens.
     
  • Mössler, K. (2008). Wiener Schule der Musiktherapie: Von den Pionieren zur Dritten Generation. Wiener Beiträge zur Musiktherapie (Bd. 8). Wien: Praesens.
     
  • Stegemann, T. & Fitzthum, E. (Hrsg.). (2014). Festschrift. 55 Jahre Musiktherapie-Ausbildung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Wien: Eigenverlag.
     
  • Stegemann, T. & Fitzthum, E. (Hrsg.). (2014). Wiener Ringvorlesung Musiktherapie. Grundlagen und Anwendungsfelder – ein Kurzlehrbuch. Wiener Beiträge zur Musiktherapie (Bd. 11). Wien: Praesens.