Kunsträume-Interview – Imola Joó


Pianistin Imola Joó war über 40 Jahre an der mdw im Bereich Hochbegabtenförderung tätig. Anlässlich ihrer Emeritierung spricht sie über Bedeutung und Herausforderung ihrer Arbeit.


Imola JooFoto: ©Elisabeth Feldner

Wann ist Ihrer Ansicht nach der beste Zeitpunkt, ein Kind an die Musik heranzuführen?

Auf die Frage, wann mit der musikalischen Erziehung eines Kindes begonnen werden soll, möchte ich Zoltán Kodály, den Ungarischen Komponisten, frei zitieren: "Am besten fängt man mit der musikalischen Erziehung eines Kindes neun Monate vor der Geburt an". Später verbesserte er sich: "Nein, noch eher: neun Monate vor der Geburt der Mutter!"

Die musikalische Kultur der Eltern, das Singen wertvoller Volkslieder, gute Musik, gespielt oder auch nur gehört, verbreitet eine warme Atmosphäre im Elternhaus und versorgt das Ungeborene schon im Mutterleib mit einer "vitaminreichen" seelischen Nahrung. Damit ist bereits für eine frühe musikalische Bildung der Grundstein gelegt.

Welche Vorteile zieht ein Kind aus dem frühen Kontakt mit Musik?

Ein Kind, das schon früh die Meisterwerke großer Komponisten hört, mit schönen Liedern in den Schlaf gesungen wird, ist für sein ganzes Leben gegen seichte, gekünstelte, oberflächliche "Musik" gewappnet. Es wird empfindsam mit positiven Gefühlen gegenüber anderen Menschen ausgestattet. Als besonderes "Geschenk" dieser Erziehung ist es eine bewiesene Tatsache, dass Kinder, die sich aktiv mit Musik beschäftigen, es später auch in Sprachen, Zeichnen, Schreiben und auch in Mathematik leichter haben.

Gibt es auch ein "zu viel" an Musik für Kinder?

Eine ständige Berieselung, auch mit der wertvollsten Musik, ist vergleichbar mit einem ununterbrochenen Füttern, sogar mit den besten Bio-Gerichten: es führt zur Unruhe, zu einer Art allgemeines Völlegefühl. In der Musik, wie auch im ganzen Leben, hat die Pause eine ganz besondere Bedeutung, in der sich das Gehörte setzen, gewissermaßen "Wurzeln schlagen" kann. Dann aber können in dieser Lautlosigkeit ganz andere Töne hörbar werden: das Prasseln des Regens, ein fernes Hundegebell, Vogelgesang im Nachbargarten und viele sonst nicht wahrgenommene, weil leise Laute. Die Stille ist ein wertvoller Bestandteil des menschlichen Lebens.


Musikinstrumente sind mitunter sehr teuer – welche Bedeutung hat ein eigenes Instrument für ein Kind?

Die tägliche Beschäftigung auf dem Instrument, verbunden mit der Arbeit an den Werken der großen Meister, erzeugt eine emotionale Nähe, welche durchaus auch als Freundschaft bezeichnet werden kann, selbst wenn ein Klavier nicht das alleinige Eigentum eines Kindes bildet.

Imola JooFoto: ©shutterstock.com / Mikael Damkier

Anders liegt die Sache bei den kleineren, wirklich eigenen Instrumenten – wird es doch gefühlsmäßig vereinnahmt. Nicht nur einmal habe ich von Kindern oder auch von größeren Studierenden den Satz gehört: "Mein Klavier wird nächste Woche gestimmt!" – "Bei meinem Klavier klemmt ein Taste." – Oder auch: "Ich habe entdeckt, dass auf meinem Instrument auch ganz leise Töne möglich sind!" – So eine Entdeckung schafft natürlich eine zusätzliche emotionale Verbindung mit unserem musikalischen "Partner".

Und das bedeutet: es gehört mir, meine Noten liegen darauf, mein Bleistift wartet auf eventuelle Eintragungen, es ist meine musikalische Ecke, in der das Klavier steht und auf mich wartet. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit ist wichtig, auch wenn das tagtägliche Üben mitunter – wie wir sehr wohl wissen – sehr hart sein kann. Eine "Einzelhaft am Klavier" – wie es schon Carl Czerny formuliert hat.


Welche Schwerpunkte liegen in der Begabtenförderung, welche in den Vorbereitungslehrgängen?

Die Teilung des vormaligen Vorbereitungslehrganges in zwei Bereiche – Hochbegabtenförderung und Vorbereitung – ist relativ neu. Die heute praktizierte Form des Unterrichts ist ausschließlich auf eine zukünftige, in meinem Fall, pianistische Laufbahn ausgerichtet. Die Anforderungen sind hoch, und bereits unter den Kindern im Hochbegabten-Lehrgang finden sich wahre kleine Virtuosen.

Das bedeutet für diese Kinder natürlich eine große zeitliche und mentale Herausforderung, weil ja auch die allgemeinbildende Schule ihre Rechte fordert. Zudem können manchmal auch entwicklungsbedingte Unebenheiten auftreten, die sich im Verhalten, beim täglichen Üben, in der Familie usw. ihren vorübergehenden Niederschlag finden können.

Da aber auch mehrmals im Jahr kommissionelle Vorspiele zu absolvieren sind, um den entsprechenden Fortschritt zu dokumentieren, besteht mitunter ein gewisser Druck, den auszugleichen auch für die lehrende Person zu einer echten Gratwanderung werden kann. Es ist jedoch als großer Vorteil zu bewerten, dass bereits in ganz jungen Jahren ein Vorgeschmack, verbunden mit einem gewissen Training, auf das harte und konkurrenzreiche Leben als konzertierender Künstler spürbar wird.

Das pianistische Niveau der "echten" Vorbereitung liegt fast auf Konzertfach-Ebene, und kann sozusagen als Vorzimmer dessen betrachtet werden. Ein strenges Auswahlverfahren entscheidet darüber, wer in dieser Richtung seinen Weg fortsetzen darf. Der Schwerpunkt liegt eindeutig an der konsequenten Weiterführung der bisherigen technischen und künstlerischen Arbeit. Das Ziel ist: ich beherrsche das Instrument, und nicht umgekehrt.

Das ist sehr wichtig, denn nur mit einem fulminanten und technisch perfekten Können ist es möglich, die Werke der großen Komponisten in ihrem Sinne künstlerisch zu interpretieren.


Welche Bedeutung hat Ihre Aufgabe für Sie?

Sie ist ein Teil meines Lebens geworden, untrennbar von meinem Ich. Fast möchte ich sagen, wie ein Sauerstoff der anderen Art: ein unmerklicher, aber unverzichtbarer Bestandteil des täglichen Lebens. Und das wird immer so bleiben.


Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit?

Für die "normalen" Zeitgenossen, die "Nicht-Musiker", ist diese intensive Beschäftigung mit der Musik wahrscheinlich ziemlich schwer nachvollziehbar: man arbeitet (neben den notwendigen, das Instrument betreffenden technischen Problemen) quasi ohne etwas von der eigentlichen Materie zu sehen, mit in der Luft schwingenden musikalischen Phrasen, die sich trotzdem während des Unterrichts verändern. Sie sind unfassbar, weil materiell eigentlich gar nicht vorhanden.

Aber: unfassbar schön, bereichernd, in die Tiefe gehend, beglückend. Und wenn man sich ein Leben lang mit dieser Arbeit beschäftigen durfte, dann hat hier nur ein einziges Wort Berechtigung: Dankbarkeit.


Interview: Susanne Gradl

Das Interview ist in der Kunsträume Ausgabe #2-2015 erschienen.