Bariton Georg Nigl im Portrait


"Das Fragen hat mich weitergebracht" – Der Wiener Bariton Georg Nigl, sein ungewöhnliches Repertoire und sein eigenwilliger Weg


Georg NiglFoto: ©Nafez Rerhuf

"Als Sänger bin ich jedoch Interpret, das heißt, ich muss das, was Autor und Komponist mir mitgeben, übersetzen."


Opernwelt, die deutsche Fachzeitschrift für Musiktheater, kürte jüngst Bariton Georg Nigl zum Sänger des Jahres 2015. Der ehemalige Studierende der mdw erhielt diesen Titel im Rahmen einer KritikerInnenumfrage der Zeitschrift für die Titelpartie in Wolfgang Rihms Oper Jakob Lenz, aufgeführt an der Staatsoper Stuttgart unter der Regie von Andrea Breth. Diese Ehrung fügt sich in den Lebenslauf Nigls nahtlos ein, denn der Bariton verschaffte sich bereits Anerkennung als Solist zahlreicher Uraufführungen, aber auch als Impulsgeber für Kompositionen und Publikationen, unter anderem von Pascal Dusapin, Georg Friedrich Haas, Wolfgang Mitterer, Friedrich Cerha und eben auch Wolfgang Rihm.

Doch der 1972 geborene Sänger hat sich nicht auf zeitgenössische Musik spezialisiert, vielmehr schöpft er aus einem breiten, mehrere Jahrhunderte umfassenden Repertoire. Höhepunkte der vergangenen Saison waren denn auch Claudio Monteverdis L'Orfeo in einer neuen Inszenierung von Sasha Waltz, die Uraufführung von Pascal Dusapins Penthesilea in La Monnaie, Brüssel, sowie eine europäische Tournee mit Franz Schuberts Winterreise und Die schöne Müllerin.

Die Gesangsausbildung absolvierte der Bariton, der seine Gesangskarriere bereits als Sopransolist der Wiener Sängerknaben startete, ebenfalls in Wien, erst von 1991 bis 1997 an der mdw bei Margaretha Sparber und Rolff Sartorius, später privat bei Hilde Zadek. Weitere besondere Impulse erhielt Nigl unter anderem von Nikolaus Harnoncourt.


Georg NiglFoto: Georg Nigl in Wolfgang Rihms Oper "Jakob Lenz" ©Bernd Uhlig

Seine tiefgründige und umfassende Auseinandersetzung mit allen aufgeführten Werken, seine enge Verbundenheit mit dem Sprechtheater und die damit einhergehende Gewichtung von Text und Rhetorik sowie seine ausdrucksstarken darstellerischen Fähigkeiten auf der Bühne machen Georg Nigl zu einem der am meisten gefeierten Baritone weltweit.

Die eigene Berufslaufbahn beschreibt der Sänger selbst als "typisches Beispiel dafür, dass viele Wege nach Rom führen", die klassische Musikwelt als in einer Phase der starken Veränderung befindlich, und die Kreativität als Kraft, die sich ihre Wirkung über die schulischen Einschränkungen hinweg bahnen oder sich sogar darüber hinweg setzen müsse.

Als Professor für Gesang betreut Georg Nigl seit 2014 an der Staatlichen Musikhochschule Stuttgart selbst Studierende. Das Arbeiten mit den jungen SängerInnen legt er demnach auch nicht schulisch an. Nigl darüber: "Es gibt bei mir keinen Lehrplan, der anzuwenden ist, sondern der Sänger oder die Sängerin gibt die Fragestellung vor, mit der sich der Lehrer auseinandersetzen darf. Jede Stimme ist einzigartig, und jede technische Frage ist unter dieser Voraussetzung zu sehen. Es sollte am Anfang einer künstlerischen Interpretation immer die Frage stehen, was der Komponist, das Werk will, und wie ich es interpretieren, das heißt übersetzen kann. Dabei versuche ich meinen Studierenden zu helfen."

Jungen Studierenden rät der erfahrene Sänger dazu, nicht zu versuchen, die Stimme eines bekannten Vorbilds zu kopieren, sondern zur eigenen Stimme und zum eigenen Weg zu finden. "Wenn ich meine Einzigartigkeit schaffen will, aber immer damit beschäftigt bin, dass mich andere mögen, habe ich ein Problem. Als Sänger bin ich jedoch Interpret, das heißt, ich muss das, was Autor und Komponist mir mitgeben, übersetzen. Das bedarf neben dem gewissenhaften und genauen Lesen auch dem Stellen von Fragen, um zu einem gesamtheitlichen Bild zu gelangen, das mir meine eigenständige Interpretation überhaupt erst ermöglicht", so Nigl weiter. Die Bildung, die eine Hochschule oder Universität in diesem Bereich vermitteln kann, sei dafür besonders wichtig.

Zu hören ist der Bariton Georg Nigl im März 2016 an der Opéra de Lille in Wolfgang Mitterers Oper Marta: www.opera-lille.fr


Text: Clemens Aigner

Das Portrait erscheint in der Kunsträume Ausgabe #1-2016.