Kunsträume-Interview: Anna Badora


Ein Gespräch mit Anna Badora, Max Reinhardt Seminar-Absolventin und neue künstlerische Direktorin des Wiener Volkstheaters


Anna BadoraFotos: ©www.lupispuma.com

Frau Badora, Sie waren am Max Reinhardt Seminar die erste Regiestudentin und
-absolventin. Wie war das für Sie, was haben Sie in Erinnerung?

Zu Beginn habe ich erst mal sehr gestaunt, als ich beim damaligen Leiter des Max Reinhardt Seminars angefragt habe, ob ich dort studieren darf: Aus Polen hatte ich meine Abschlusszeugnisse aus der Schauspielakademie mitgebracht, in der Annahme, dass sie – so wie es in Polen der Fall war – Voraussetzung für ein Regiestudium wären. Doch Helmut Schwarz war an den Zeugnissen nicht interessiert, er sah mich bloß an und fragte ein wenig besorgt: "Aber Sie sind doch eine Frau, wie wollen Sie das machen?" Auch das erstaunte mich, denn in Polen gab es einige berühmte Regisseurinnen, etwa Krystyna Skuszanka – die Frau hinter dem Theaterwunder von Nowa Huta – die Schwarz auch kannte.

Ich ließ nicht locker und ich glaube, dass er irgendwann nachgegeben hat, weil ich über etliche Wochen immer wieder bei ihm auf der Matte stand. Er ließ mich dann zur Aufnahmeprüfung zu. Nach dieser Prüfung sagte Hermann Kutscher, der damals für die Regieklasse verantwortlich war: "Ich glaube, man kann sich das erlauben, dass man auch so jemanden aufnimmt." Alle Kollegen kamen, haben mich angeguckt wie eine Außerirdische, ich fand das sehr lustig damals.

Und was haben Sie aus der Zeit des Studiums am besten in Erinnerung?

Das Max Reinhardt Seminar hat eine ganz bestimmte Stimmung. In den alten wunderschönen Gemäuern zu sitzen, und gleich neben dem Schloss Schönbrunn Szenen zu üben – das war für mich damals auch, die Quintessenz von Wien. Innerhalb der Gruppe von Studenten mit Schweizern, Deutschen, Österreichern und auch einem Türken haben wir viel voneinander gelernt. Das war natürlich für einen jungen Menschen wie mich – ich kam gerade aus Polen – berauschend.

Und wir haben von unseren Lehrern, etwa Walter Hoesslin – ein auf wunderbare Weise völlig verrückter Bühnenbildner – gelernt, dass Fantasie und Kreativität das Wichtigste ist, und dass wir den Mut zur Verrücktheit haben sollen. Es war toll, dass wir frei herum experimentieren konnten. Regie haben wir auf Basis des Buches Philosophie der Erkenntnis' von Otto Friedrich Bollnow bei Kutscher gelernt. In dem Buch ging es um verschiedene Interpretationsansätze, die uns gezeigt haben, wie unterschiedlich man ein und dieselbe Welt sehen kann.


Wie hat Ihre Ausbildung am Max Reinhardt Seminar generell Ihren beruflichen Werdegang beeinflusst?

Anna BadoraDas Max Reinhardt Seminar hat mir sehr viel gegeben, eben wegen jener Ermutigung zu auch unorthodoxen Wegen und Lösungsansätzen, dem Primat der Kreativität und wegen des Netzwerks, das unter uns Studenten und Studentinnen damals entstand, und das zum Teil über das gesamte Berufsleben hinweg hielt und noch hält. Wichtig war für mich persönlich auch der am Seminar erworbene Glaube an mich selbst. Ich war dadurch besser gewappnet für die unvermeidlichen Misserfolge im Beruf.

Was ich am Seminar heute toll finde, ist die neue Leitungsmannschaft. Wir hatten bereits zusammen effiziente und fruchtbare Sitzungen, das Team arbeitet mit Lust, Neugier und Verständnis für unsere gegenseitigen Situationen eines jeweiligen Neubeginns. Ich hoffe, dass sich die Kooperationen mit dem Max Reinhardt Seminar weiterhin so positiv gestalten.


Hat sich die Situation für Frauen in der Branche verändert?

Sie hat sich extrem verändert. Zu Beginn am Max Reinhardt Seminar fand ich die Situation noch lustig, doch später am Düsseldorfer Schauspielhaus, wo ich Generalintendantin war, wurde es mitunter ärgerlich. Ein Stadtpolitiker sagte mir damals, als es einige Schwierigkeiten gab: "Wenn Sie mich fragen, ob Ihre Probleme darauf basieren, dass Sie eine Polin sind, dann werde ich Ihnen ganz klar antworten 'Nein'. Wenn Sie mich aber fragen würden, ob Ihre Probleme darauf zurück zu führen sind, dass Sie eine Frau sind, dann würde ich nicht mehr so eindeutig mit 'Nein' antworten können."

Diese Genderfrage kam immer wieder, etwa als ich schwanger war. Ich habe meine Schwangerschaft damals verborgen, da ich mit Theatern schon in Gesprächen war und brachte meinen Sohn zur Welt, während ich vortäuschte, auf einem mehrwöchigen Segeltörn zu sein. Die fehlende Bräune machte ich im Sonnenstudio wett. Das ist heute ganz anders: Als eine jüngere Regiekollegin bei uns in Graz inszenierte und in der Pause ihr Baby stillte, war das für alle ganz selbstverständlich. Dieses geänderte Bewusstsein heute finde ich schon ganz toll.


Sie selbst haben viel erreicht, welchen Tipp würden Sie jungen Regie-Studierenden geben?

Was ich ganz wichtig finde ist, sich selbst und seinem Stil Zeit zum Reifen zu geben, und nicht aus opportunistischen Gründen vorschnell mit einem eigenem Label zu winken. Einerseits muss man auf sich selbst hören, andererseits nicht isoliert leben, möglichst viel anschauen, was im deutschsprachigen Raum passiert und versuchen, in einen Dialog zu kommen mit den Protagonisten der Tendenzen und Richtungen, die gerade da sind.
Sehr wichtig ist auch, sich Netzwerke auf zu bauen. Ebenso ist Vertrauen zu sich selbst essentiell, Misserfolge gehören zum Berufsleben dazu und man wächst daran, wenn man Misserfolge überwindet.


Welche Tendenzen sehen Sie in der deutschsprachigen Theaterlandschaft generell?

Es gibt einige ganz große Tendenzen – wohl als Folge des Internets 2.0, dem Mitmach-Internet: Partizipation etwa, sprich die Einbindung von ZuschauerInnen in die Inszenierung. Bei uns inszeniert Volker Lösch Marienthaler Dachs, ein Stück, bei dem wirkliche Wiener Arbeitslose auf der Bühne zu Wort kommen. Aber das wird nur ein Teil der Inszenierung sein, professionelle SchauspielerInnen werden das Stück spielen.

In einem anderen Format, etwa von Rimini-Protokoll, kommen sogenannte ExpertInnen des Alltags zu Wort. Fachleute werden in bestimmten Funktionen auf die Bühne gestellt und ihre Expertise fließt in das Theaterkunstwerk ein. Dann gibt es auch noch die Stadtprojekte, bei denen man Doku-Recherchen oder Interviews macht: Dann werden entweder professionelle SchauspielerInnen oder sogar Leute von außerhalb auf die Bühne geholt, um darzustellen.
Bei uns arbeitet die Regisseurin Yael Ronen, die auch feste Regisseurin am Maxim Gorki Theater in Berlin ist. Bei der ersten Probe hat sie keine einzige Zeile Text, aber ein Thema. Sie erarbeitet gemeinsam mit dem Ensemble Reisen in das Innere eines solchen Themas und es entstehen wunderbare Theaterabende. Die Stücke wirken oft als wären sie am Schreibtisch geschrieben worden. Doch alles entsteht interaktiv bei Proben – auch das ist eine starke Tendenz.

Außerdem wird sich das Theater in der nächsten Zeit nicht nur mit der Gegenwart sondern auch mit der Zukunft, sprich, mit Visionen für das Theater beschäftigen. Theater war immer schon ein Ort, an dem Visionen entstanden sind – auch Visionen für die Gesellschaft, die ganze Welt – wie in einem Labor.


Und wie sehen Ihre Visionen für das Volkstheater Wien aus?

Wir machen viele Stadtprojekte, wir interessieren uns brennend für den aktuellen Zeitgeist, für das, was die Stadt jetzt prägt. Politische Themen, globale Verwerfungen schlagen sich stark im Alltagsleben wieder. Und das wollen wir wiederum abbilden im Theater.

Für das Volkstheater wollen wir vor allem wieder die Frage aufwerfen, die man alle paar Jahre neu diskutieren muss, da sich die Welt so schnell ändert – was ist heute "Das Volk"? Was heißt heute Volkstheater? Theater der Völker? Wer sind heute "die Wienerinnen und Wiener". Das Stadtbild, jeder einzelne Grätzel, hat sich durch Migrationen geändert, und ändert sich immer schneller, jetzt aktuell durch große Flüchtlingsströme, doch die Publikumsstruktur im Theater ist eher noch die alte. Wir fragen uns, wie wir mittelfristig im Publikum die gesellschaftliche Realität besser abbilden können. Wichtig ist für uns auch der Blick von außen auf die Stadt Wien, und umgekehrt der Blick von Wien auf die Außenwelt.


Interview: Doris Piller

Das Interview ist in der Kunsträume Ausgabe #3-2015 erschienen.