VOM VERLUST FREIEN DENKENS

ZUR NORMALISIERUNG FEMINISTISCHER WISSENSCHAFT

Birge Krondorfer

Wir leben in einer Gesellschaft, die uns Anpassungen bedrohlichen Ausmaßes abverlangt. Wir sollen Teil einer Konsensmaschine sein, die Kritik kontrolliert und nivelliert. Auch das Bildungswesen hat sich diesen Anforderungen unterworfen. Statt differenzierender Erkenntnisbildung wird ‚Wissen’ auf Verwertbarkeit und Selbstvermarktung der Subjekte reduziert. Die ausgerufene Wissensgesellschaft produziert eine soziale Kluft zwischen dem Wissen der Eliten und den ausbeutbaren Humanressourcen des Weltkapitals. Das geht einher mit dem Verlust von offenen und freigespielten Denkräumen. Diese Entwicklung wird schon länger beobachtet, doch bis auf die Unibrennt-Proteste 2009 gab es dagegen keinen nennenswerten Widerstand. Die Universität wird heute behandelt wie ein zu rationalisierendes Unternehmen. Reflexion, Verstehen, eigenes Denken wird zum ‚Luxus’. Das hat wirkmächtige Konsequenzen für Wissenschaftlerinnen, feministisch-kritisches Forschen und Vermittlungsweisen. Der neoliberale Umbau des Bildungssektors und des Wissenschaftssystems bedarf der Gegenrede zu Konformität und Unterordnung, zu hierarchischer Organisation und standardisierter Bildung. Dazu gehört die Hinterfragung des souveränen (Wissenschafts-) Subjekts in Theorie und Praxis und die Zurückweisung einer Universität, die vergessen soll, dass Bildung idealiter ein Ort bedingungsloser Freiheit des Denkens und der Ermöglichung von Kritik ist.

Birge Krondorfer, Politische Philosophin und feministische Erwachsenenbildnerin. Temporär Lehrende in inter/nationalen Universitäten. Mitgründung und engagiert in: Bildungsstätte Frauenhetz/Wien, Plattform 20000frauen, Verband feministischer Wissenschafter_innen, Arge "Demokratie braucht Bildung". U.a. Co.Hg.: Prekarität und Freiheit? Feministische Wissenschaft, Kulturkritik und Selbstorganisation, Münster 2013