ANSÄTZE SUBJEKTSREFLEKTIERTER OBJEKTIVITÄT IN DER GEGENWÄRTIGEN RECHTSKULTUR

Nikolaus Benke

Damit Akte, in denen das Recht zum Einsatz kommt, als richtig erlebt werden, müssen sie frei von Willkür, Beliebigkeit und Parteinahme – also objektiv – erscheinen. Objektivität ist somit eine zentrale Qualität der Rechtskultur. Geht sie verloren, so wird aus der Rechtsordnung ein Unrechtsregime. Feministischer Kritik verdankt sich die Einsicht, dass traditionelle Objektivitätskonfigurationen vielfach vorgeben, (auch) die Geschlechtszugehörigkeit auszublenden, tatsächlich aber die Lebensentwürfe und Lebensvollzüge von Männern zum allgemeinen Maßstab erheben und somit unter dem Deckmantel der Geschlechtsneutralität patriarchale Dominanz unterstützen. Um die Täuschungsstrategie der traditionellen Objektivitätskonfiguration im Rechtlichen/Juristischen zu überwinden, empfiehlt sich der Wechsel zu einem Konzept subjektsreflektierter Objektivität: Das Konzept nimmt bewusst individuelle Perspektivierungen und Kontexte der an den rechtlichen Akten beteiligten Personen in den Blick. Dies verspricht, etwa auch dem Umstand der jeweiligen Geschlechtszugehörigkeit angemessen(er) Rechnung zu tragen. Der Beitrag geht der Frage nach, welche Elemente im traditionellen System- und Methodenkosmos des Rechts zu finden sind, die – wiewohl noch nicht mit dem neuen Terminus bezeichnet – bereits dem Ansatz subjektsreflektierter Objektivität entsprechen.

Nikolaus Benke ist Universitätsprofessor am Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte der Universität Wien; Veröffentlichungen zum Römischen Recht, zu ausgewählten Fragen des Privatrechts, zu Antidiskriminierung, Legal Gender Studies sowie zur Jurist*innenausbildung