FREIHEIT, WEIBLICHE LEIDENSCHAFT UND DEKOLONIALE PRAXIS.

GEDANKEN ZUR POLITISCHEN INKRAFTSETZUNG VON PLURALITÄT

Barbara Grubner

Welche Relevanz kann der Begriff der Freiheit – überhaupt der „weiblichen Freiheit“ – für den Feminismus noch haben? Zweifellos ist sein kritischer Gehalt gerade heute, wo er (erneut) zur Aus- und Abgrenzung von ‚kulturell Anderen‘ angerufen wird und in neoliberaler Gestalt zu verführen sucht, höchst fragwürdig. Dennoch möchte ich dafür eintreten, Freiheit als Herzstück feministischer Kritik gerade heute radikal zu fordern – und zwar in einem Verständnis von Freiheit, das ihren nicht-souveränen Charakter und ihre unentrinnbare Grundlage in der menschlichen Pluralität unterstreicht. In den Blick rücken möchte ich nicht nur das Sichtbarmachen und Anerkennen von Differenzen, sondern auch die Notwendigkeit, über neue Formen der Bezugnahme zwischen Frauen nachzudenken, die der Pluralität erst politische Bedeutung verleihen. Um diesen Gedanken zu skizzieren, lohnt es sich, an Befunde aus dem Denken der sexuellen Differenz zu erinnern (insbesondere aus Schriften von Luce Irigaray und dem feministischen Kollektiv Libreria delle donne di Milano) und diese mit der dekolonialen Perspektive von Anthropologinnen wie Saba Mahmood und Lila Abu-Lughod zu verbinden. Das soll erlauben, die welt­verändernde Kraft weiblichen Begehrens und ihre Bedeutung für die Wieder­aneignung von Freiheit als politischer Inkraftsetzung von Pluralität zur Diskussion zu stellen.

Barbara Grubner ist Kultur und Sozialanthropologin und arbeitet an der Universität Marburg zur Schnittstelle Antifeminismus/Ethnisierung (Fallstudie „Ethnisierung von Sexismus. Figurationen des Antifeminismus nach Köln“, gemeinsam mit Denise Bergold-Caldwell). Sie ist Lehrbeauftragte für feministische Theorie und Gender Studies und im Wiener Verein plurivers. Netzwerk feministische Bildung und Pluralität aktiv