Traditionen des Klavierspiels - Russland

Vorträge

Freitag, 27. April 2012, 14.30

DOROTHEA REDEPENNING

Zwischen künstlerischer Autonomie und politischem Bekenntnis - Überlegungen zur Klaviermusik Sergej Prokofjews und Dmitrij Schostakowitschs

 

 

Seit der Etablierung der Sowjetmacht sahen sich Künstler in das Spannungsfeld von Autonomie und Propaganda gestellt. Kammermusik, im speziellen auch Klaviermusik, scheint sich weniger politisch nutzbar machen zu lassen; sie gehört traditionsgemäß eher zum Bereich autonomer Kunst. Prokofjew und Schostakowitsch, beide professionelle Pianisten, fühlten sich der Schule, der auch Alexander Skrjabin und Sergej Rachmaninow angehörten, zeitlebens verpflichtet. Beide machten das Klavier nicht zu ihrem Hauptinstrument; aber sie schufen eine Reihe großer Werke, darunter Prokofjews Kriegssonaten und Schostakowitschs Präludien und Fugen, die dieses Spannungsfeld im besonderen thematisieren und deshalb einen festen Platz im internationalen Repertoire bewahrt haben.

 

 

 

Freitag, 27. April 2012, 16.30

STEFAN WEISS

Hammer und Seele - ein Streifzug durch die Klaviermusik Galina Ustwolskajas und Sofia Gubaidulinas

 

 

Unter den russischen Komponisten der Generationen "nach Schostakowitsch" stellen Sofia Gubaidulina und Galina Ustwolskaja zwei der eigenständigsten Stimmen dar, und vielleicht mehr als andere haben sie auch im westlichen Neue-Musik-Diskurs Akzeptanz gewonnen. In der Rezeption werden sie nicht selten zusammen genannt, wofür man viele einleuchtende Gründe anführen könnte: Beide sind Frauen, beide erfuhren in der Sowjetunion Unterdrückung ihres Schaffens, beide beziehen musikalische Inspiration aus religiösen oder geistlichen Vorstellungen, in beider Biographien spielt das Moment der Zurückgezogenheit eine große Rolle. Auch in der Klaviermusik ergeben sich Bezüge scheinbar zwanglos, haben doch beide in den "klassischen" Klaviergattungen Sonate, Charakterstück und Konzert ihre Spuren hinterlassen. Wie unterschiedlich aber der Charakter ihrer jeweiligen Musik tatsächlich ist, deutet sich bereits dadurch an, wie gegensätzlich beide Komponistinnen als Persönlichkeiten wahrgenommen werden und wurden: Während die Geigerin Anne-Sophie Mutter unlängst Gubaidulina als "einen auf die Erde gesandten Engel" apostrophierte, bezeichnete der niederländische Musikpublizist Elmer Schönberger 1991 Ustwolskaja als "die Frau mit dem Hammer". Der Vortrag geht der Originalität der beiden Komponistinnen am Beispiel ausgewählter Klavierwerke nach und wirft dabei die Frage auf, wie die Musik von Ustwolskaja und Gubaidulina überhaupt adäquat verstanden und analysiert werden kann.

 

 

 

Samstag, 28. April 2012, 14.30

EVGENIA GUREVICH

Nikolay Rubinstein - Gründer der Traditionen der Moskauer Klavierschule

 

 

Die klavierkünstlerische Meisterschaft von Nikolay Rubinstein hat sich während seines ganzen Lebens entwickelt, zur Blütezeit kam es in den Jahren 1871–1881. Als Künstler bildete Nikolay Rubinstein sich in Russland aus und stützte sich auf die Traditionen der vaterländischen, insbesondere der Moskauer Kultur. Große Wirkung hatten die Schule von D. Fild (F. Gebel, A.I. Willuan, A.I. Dübük, I.I. Reinhardt, J.N. Hummel, F. Riss), die Ästhetik von M.I. Glinka und die Klavierkunst von A.G. Rubinstein. Aber Nikolay Rubinstein stand auch unter dem Einfluss großer ausländischer Musiker - R. Wagner, H. Berlioz, C. und R. Schumann, F. Chopin, F. Liszt, K. Tausig, H. von Bülow.

 

Nikolay Rubinstein war charakterisiert durch fabelhafte menschliche und musikalische Eigenschaften - er erfreute sich einzigartigen Intellekts, eines großartigen Gedächtnisses, ausgeprägter Motorik und ausgezeichneter Selbstbeherrschung. Sein Klavierrepertoire war sehr breit und umfasste Werke von ausländischen Komponisten (J.S. Bach, L. van Beethoven, C.M. von Weber, F. Schubert, F. Mendelssohn-Bartholdy, J.N. Hummel) und russischen Autoren (M.I. Glinka, M.A. Balakirew, A.G. Rubinstein). Den zentralen Platz nahmen die Werke von P.I. Tschaikowsky, F. Chopin, R. Schumann oder F. Liszt ein.

 

Nikolay Rubinstein gilt in der russischen Musikgeschichte als der “große Lehrer des Klavierspiels” (A.G. Rubinstein), seine berühmtesten Schüler sind der russische Komponist, Gelehrte, Pianist und Dirigent S.I. Taneew, der russische Pianist und Dirigent A.I. Siloty und der österreichische Pianist und Komponist E. Sauer. Wesentlich im Klavierunterricht Rubinsteins war die Erziehung der Persönlichkeit des Schülers bzw. die Ausbildung zum “Musiker” in umfangreichem Sinn.

 

S.W. Rachmaninow (“ein Musikenkel” von Nikolay Rubinstein) wiederum ist ein Schüler von A.I. Siloty und von S.I. Taneew. Die musikpädagogischen Methoden von Nikolay Rubinstein hat sich L.W. Nikolaew (ebenfalls Absolvent des Moskauer Konservatoriums) durch S.I. Taneew angeeignet. L.W. Nikolaew wurde später ein berühmter Vertreter der Petersburgischen Klavierschule.

 

Dank Anton und Nikolay Rubinstein hat die russische Klavierpädagogik gegen Ende des 19. Jahrhunderts Autorität und internationale Anerkennung gefunden. Die Traditionen Nikolay Rubinsteins prägten die Entwicklung am Moskauer Konservatorium: In der schöpferischen Tätigkeit groβer Pianisten und Pädagogen des 20. Jahrhunderts (K.N. Igumnow, A.B. Goldenweiser, S.E. Feinberg, H.H. Neuhaus) und auch in der schöpferischen Tätigkeit ihrer Schüler (L.N. Oborin, J.W. Flier, S.T. Richter, E.G. Gilels, J.I. Sack, T.P. Nikolaewa) und vieler anderer bedeutender Musiker.