Ein Grenzgänger zwischen den Welten. Beethoven und der Adel

Martin Scheutz

 

Das endende 18. Jahrhundert bedeutete auch in der Habsburgermonarchie einen allmählichen Bedeutungsverlust für den Adel und sah ein erstarkendes Bürgertum. Wenn auch der Wiener Kongress alte Verhältnisse wieder herzustellen schien, so geriet doch der Adel im 19. Jahrhundert zunehmend unter Druck. Ludwig van Beethoven bewegte sich in seinen Wiener Jahren meist im Umfeld einer adeligen Gesellschaft, woraus sicherlich der Musikliebhaber und Mitbegründer der „Gesellschaft der Musikfreunde“ Franz Joseph von Lobkowitz (1772–1816) emporragt. Die adeligen Gönner finanzierten Beethoven, umgekehrt verlieh ihnen das musikalische Schaffen Beethovens symbolisches Kapital in der Krisenzeit der Napoleonischen Kriege mit den damit verbundenen wirtschaftlichen Problemlagen. Lobkowitz unterhielt trotz hoher Kosten etwa seit den 1790er Jahren eine Hofkapelle und im Winter stand das Wiener Palais Lobkowitz, im Sommer Schloss Raudnitz/Roudnice als Aufführungsort von Musik zur Verfügung. Beethoven dedizierte umgekehrt sein Opus 1 oder die Klaviersonate Nr. 8 dem Fürsten Carl von Lichnowsky (1761–1814), symbolisch-materielle Tauschhandlungen nahmen diese Form an. Der Wiener Adel besaß für Beethoven eine deutlich wahrnehmbare Mäzenatenrolle. Die berühmte, „nationale“ Pension für Beethoven aus dem Jahr 1809 wurde von einem adeligen Triumvirat, bestehend auf Erzherzog Rudolph, Fürst Lobkowitz und Fürst Kinsky, ausgesetzt. Die Subskriptionslisten der Beethovenschen Konzerte lesen sie zudem wie ein Wagenstandsanzeiger des Wiener Hochadels.
Beethoven lebte im adeligen Milieu und imitierte den adeligen Lebenswandel, indem er beispielsweise dem Hof und damit der adeligen Entourage nach Baden auf Sommerfrische/Kur nachzog. Gerade die Kurstädte als Laboratorium einer neuen bürgerlichen Gesellschaft zeigen die Verschränkungen von Adel und Bürgertum im beginnenden 19. Jahrhundert besonders gut. Umgekehrt konnte sich Beethoven aber auch als adelig-bürgerlicher Sonderling inszenieren, dessen Marotten man ihm sowohl im Adel als auch im Bürgerstand nachsah. Der besondere Status von Beethoven eröffnete ihm damit Handlungsräume, die er unkonventionell in verschiedene Richtungen für sich nutzen konnte. Umgekehrt konnte Beethoven im bürgerlichen aufstrebenden Spektrum und im Angesicht des bürgerlichen Wertekanons von Pünktlichkeit, Sauberkeit und Mäßigung nur begrenzt reüssieren. Beethoven legte seine Rolle in der Residenzstadt Wien überständisch an, indem er in der aufgeklärten bürgerlich-adeligen Gesellschaft der Donaumetropole als Freigeist galt. Erst der ab dem Jahr 1818 ausgefochtene Vormundschaftsprozess enthüllte, dass es sich beim vermeintlichen Adelsprädikat „van“ um eine Herkunftsbezeichnung handelte und damit nicht das adelige Landrecht, sondern das bürgerliche Recht in Anwendung gebracht werden musste.

 

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