Interdisziplinäre Ringvorlesung Transkulturalität: Selbstermächtigung und Literatur


Am Mittwoch, dem 16. November 2016 findet der 2. Termin der Interdisziplinären Ringvorlesung Transkulturalität_mdw mit dem Thema "Selbstermächtigung und Literatur" statt.


Wissenschaftlicher Vortrag


Das literarische Schaffen der Roma, Romnja, Sinti und Sintize

Roma und Romnja, Sinti und Sintize greifen in ihren literarischen und anderen künstlerischen Werken in den gesellschaftspolitischen Diskurs ein. Im Vortrag soll ein Einblick in die Geschichte und die gegenwärtige Situation der internationalen Romani-Literaturen gegeben werden.

"Writing back", Identitäts- und Gedächtnisdiskurse kennzeichnen zahlreiche Werke. Für viele AutorInnen und KünstlerInnen bedeutet es allerdings eine große Herausforderung, schriftstellerisch / künstlerisch tätig zu werden und sich die "Redefreiheit" (im Sinne Judith Butlers) zu nehmen.

Im Vortrag wird daher auch auf Produktions- und Rezeptionsbedingungen eingegangen und gezeigt, wie es AutorInnen gelingen konnte, Schwierigkeiten zu überwinden.


Über die Vortragende


Beate Eder-Jordan

Beate Eder-Jordan

Universitätsassistentin für Vergleichende Literaturwissenschaft am Institut für Sprachen und Literaturen der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Kuratorin der Sektion Literatur des Projekts RomArchive (gemeinsam mit Petra Cech).

Studium Vergleichende Literaturwissenschaft und Spanisch in Innsbruck und Granada.

Forschungsschwerpunkte: Literatur, Kunst und Kultur von Minderheiten, Romani und Traveller Studies, Eigen- und Fremdbilder, kulturelles Gedächtnis, Minderheiten im Nationalsozialismus.

Foto: ©Monika Raič


Künstlerischer Beitrag


Samuel Mago, Schriftsteller

Samuel Mago

Geboren 1996 in Budapest, aufgewachsen in Wien. Arbeitet als Antiziganismustrainer und schreibt für das jüdische Magazin Nu. Ehrenamtliche Arbeit im Verein Romano Centro. Mitarbeit an ORF-Produktionen.

2014 Sieger des Redewettbewerbs Sag's Multi mit einer Rede über Roma, Antiziganismus und Toleranz. 2015 exil-jugend-literaturpreis für seine Kurzgeschichte "Zeuge der Freiheit".

Foto: Verein Wirtschaft für Integration




"Zeuge der Freiheit", gelesen von Clara Schulze-Wegener

Hagel im Oktober. der klang seiner absätze war trotz des lärms der straßen von weitem zu hören. in der morgendämmerung war budapest leer. nur die sowjetischen soldaten liefen die gassen entlang. kanonenfeuer. maschinengewehre. granaten. kálmán eilte die ringstraße hinunter. in der rechten hand hielt er einen dunklen geigenkasten unter seinem goldenen siegelring. in der linken eine zigarette. alle paar schritte nahm er einen zug.

er hatte die ganze nacht in márványmenyasszony gespielt. einem der elegantesten restaurants im reichenviertel der stadt, wo die gäste für die zigeuner-primas gut und gerne großzügig in die taschen griffen. immer wieder zog er sich nervös seinen kaschmirschal zurecht uns steckte ihn in seinen langen, grauen mantel zurück. anstelle der sechser straßenbahn rollte ein panzer die schienen entlang. er rauchte bereits die dritte zigarette. es war kalt, trotzdem schwitze er unter seinem anzug, als wäre er von hunden gejagt worden.

als er in die Tompagasse einbog, wich er einer Blutlacke aus. die schleifspuren führten in ein halb zerbombtes wohnhaus, auf dem eine rotweißgrüne fahne wehte. das kommunistische wappen war herausgeschnitten worden. er warf den zigarettenstummel eilig auf das pflaster der straße und schlug heftig ans haustor. ein dicker älterer herr mit glatze öffnete unter der nummer sechsundzwanzig mühselig das holztor und rieb sich mit einem tuch den schweiß aus dem gesicht. rasch, genosse juhász! rasch rasch! wisperte er wie im fieber.

Clara Schulze-Wegener
Clara Schulze-Wegener

wurde 1992 bei Kassel geboren. 2014 begann sie ihr Schauspielstudium am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Sie spielte u.a. in Lenz von Georg Büchner und in Waisen von Dennis Kelly. Neben dem Studium ist sie Mitglied im Theaterkollektiv BAWIDIFU. Momentan spielt sie am Landestheater Niederösterreich in St.Pölten im Traumffresserchen (Regie: Susanne Schwarz).

Foto: ©Max Reinhardt Seminar


Kommentar und Moderation: Ursula Hemetek


Die Veranstaltung ist bei freiem Eintritt öffentlich zugänglich.


Interdisziplinäre Ringvorlesung Transkulturalität_mdw:
Selbstermächtigung und Literatur

16. November 2016, 17.00 Uhr
Fanny Hensel-Saal
Anton-von-Webern-Platz 1
1030 Wien