Interview des Monats Juli

 

Rudolf Görnet

geboren 1959 in Wien

derzeit berufstätig als Musiktherapeut am Kepleruniversitätsklinikum Linz sowie als freischaffender Musiker

Rudolf Görnet, 2012 (c) Roman Picha

Lieber Rudi,

Du bist so jung wie die Musiktherapie. Entschuldige bitte die Frage: "Wie fühlt sich das an?"

Ich erlebe gerade ein starkes Bedürfnis nach einer spießigen Ordnung in meiner Wohnung und habe mich von mehreren Kisten Literatur meiner Jugend (Wallraf, Castaneda, Reich etc.) getrennt. Ein bisschen Scham, derart lange zu pubertieren und Wehmut darüber, warum ich nicht schon mit 30 statt mit 53 Musiktherapeut geworden bin, ist auch dabei.

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Du in Wien Musiktherapie studiert hast?

Ich habe, nach einem abgebrochenen Musikstudium und einer Zwischenphase als Selbständiger in der EDV,  bei meinem zweiten Versuch als freischaffender Musiker einen bescheidenen Lebensunterhalt zu bestreiten, einen Experten gefragt, wie das funktionieren könnte. Der riet mir, eine Arbeit zu suchen. Daraufhin habe ich mich als Wiener an der mdw zur Aufnahmsprüfung Musiktherapie angemeldet. Somit konnte ich dann nach 36 Jahren ein Studium abschließen.

Wenn Du nicht Musiktherapie studiert hättest – was hättest Du stattdessen getan?

Ich hätte gewartet, was mir das Schicksal ersatzweise liefert.

Was bedeutet für Dich "Wiener Schule der Musiktherapie" heute?

Die Verbindung von Tiefenpsychologie und musikalischer Improvisation, heute wie gestern, in Wien gehen die Uhren anders.

Zu Deiner musiktherapeutischen Arbeit bzw. zu Deinem musiktherapeutischen Handwerk: Gibt es da immer noch etwas, das aus Deiner Ausbildung stammt und sich nie/kaum verändert hat? 

Ja, da gibt es einiges:

Die Frage: „Wie war das jetzt, was haben sie wahrgenommen ?“ 

Immer noch das leider erfolglose Bemühen, auf Bewertungen zu verzichten.

Einen Teil meiner Wahrnehmungen wie Einschätzungen zur Person des Gegenübers, Lebensberatungen etc. nicht zu formulieren. 

Immer noch das Ringen, den Anspruch „als authentisches, bezogenes Gegenüber in einer wertschätzenden Haltung abstinent zu bleiben“ richtig zu verstehen.

Methodisch arbeite ich im Einzelsetting gerne mit der psychodynamischen Analyse einer Partnerimprovisation an der Trommel.

Mit den bei Urs Rüegg erlernten rezeptiven Methoden arbeite ich ebenfalls und habe auch meine Kenntnisse in weiterführenden Seminaren vertieft.

Und umgekehrt: Was aus Deiner Ausbildung hast du schnell verworfen bzw. was hat sich als nicht alltagstauglich innerhalb Deiner Arbeit erwiesen?

Bei meiner derzeitigen Arbeit in der Psychiatrie mit Jugendlichen und in der Akutpsychiatrie mit erwachsenen Männern waren die erlernten Methoden für mich nicht befriedigend anwendbar. Daher habe ich mich an den Wünschen und auch an den negativen Erfahrungen der PatientInnen orientiert und mir meine eigenen Methoden erarbeitet. Ich arbeite hauptsächlich mit konkreten musikalischen Formen wie bekannten Liedern oder der Improvisation, gestützt von einer harmonischen Form und weniger mit freier, expressiver Improvisation oder Spielanleitungen. Ein Hauptanliegen der PatientInnen sind klare, einfache Strukturen, die zu dem Gefühl, Teil eines konstruktiven Gruppengeschehens zu sein, führen. Ich arbeite da mehr erlebnisorientiert als analytisch.

Wie ist das in Deiner Ausbildungsgeneration: trifft man sich noch immer, weiß man voneinander oder ist man etwa befreundet?

Eine treffe ich privat, zwei am Arbeitsplatz regelmäßig, die anderen selten.

An welche Anekdote aus Deiner Ausbildungszeit erinnerst Du Dich besonders gerne (oder besonders ungerne)?

Als ein Professor an der MedUni vergaß, das Mikrophon auszuschalten, am Gang angesprochen wurde und das Gespräch im gleichen jovialen, lockeren Tonfall wie der Vortrag in den Saal übertragen wurde. Der Vortragende war sozusagen nur mehr transzendent präsent. Gesprochen wurde über mexikanische Puppen, das im Vortrag breit ausgeführte Hobby des Vortragenden.

Zurückblickend, wie denkst Du heute über Deine Musiktherapie-Ausbildung in Wien? Würdest Du sie noch einmal absolvieren? Oder würdest Du sogar Deinen Kinder zu dieser Ausbildung raten, wenn sie Dich fragen würden?

Mir hat die Ausbildung sehr viel bei meiner Persönlichkeitsentwicklung geholfen, und ich habe nun eine fixe Anstellung als Landesbediensteter, daher würde ich auch meinen Kindern dazu raten. 

Wie lauten Deine Wünsche an das Geburtstagskind "Musiktherapie-Ausbildung in Wien"?

Dass mehr schlimme Buben und weniger brave Mädchen aufgenommen werden.