Interview des Monats Juni

 

Almut Wallenberger-Fussenegger

geboren 1959 in Weiler, Vorarlberg

derzeit berufstätig als Biobäuerin, Erzieherin und Kunsttherapeutin

Liebe Almut,

Du bist so jung wie die Musiktherapie. Entschuldige bitte die Frage: "Wie fühlt sich das an?"

So jung oder alt wie die Musiktherapieausbildung in Wien zu sein, fühlt sich für mich gut an – das Datum von 1959 konnte ich mir immer leicht merken. Man hat doch mit 60 schon einiges an Erfahrung gesammelt, das empfinde ich als Plus für das Leben.

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Du in Wien Musiktherapie studiert hast?

Die Kombination von Musik und Therapie fand ich schon im Gymnasium faszinierend. In der Maturaklasse erfuhr ich von dieser Studienrichtung, und mir war klar – diese Ausbildung will ich machen. Meine Eltern waren Ärzte und haben viel musiziert, mein ältester Bruder wurde Mediziner, ich Musik-und Kunsttherapeutin, und meine beiden jüngeren Geschwister Vollzeitmusiker – also doch ziemlich familiengeprägt. 

Wenn Du nicht Musiktherapie studiert hättest – was hättest Du stattdessen getan?

Wenn nicht Musiktherapiestudium, dann Medizin oder Psychologie. 

Was bedeutet für Dich "Wiener Schule der Musiktherapie" heute?

Ich weiß leider wenig von der Wiener Schule der Musiktherapie. Nach dem Studium ging ich nach Frankreich in die Provence, arbeite dort als Biobäuerin, Erzieherin und Kunsttherapeutin. Gut 20 Jahre habe ich auch regelmäßig mit Kindern und Erwachsenen Musiktherapie in 2 verschiedenen Institutionen gemacht, 1–2 mal in der Woche. In Frankreich ist der Beruf eines Musiktherapeuten nicht wirklich anerkannt. Es gibt zwar inzwischen mehrere Ausbildungsstätten, aber man arbeitet eher als freiberuflicher „Intervenant“ oder man wird als Kunst-oder Ergotherapeut angestellt. Die Psychiatrie wird noch sehr von der Psychoanalyse dominiert – und daneben gibt es viele Medikamente. Die Situation in der Psychiatrie ist sehr angespannt und schwierig.

Zu Deiner musiktherapeutischen Arbeit bzw. zu Deinem musiktherapeutischen Handwerk: Gibt es da immer noch etwas, das aus Deiner Ausbildung stammt und sich nie/kaum verändert hat? 

Was sich seit meiner Ausbildung nicht verändert hat – meine Improvisationsfähigkeit. Anbieten, zuhören, spielen, verändern, anhören, mitmachen, kreativ sein... Das gilt auch für mein Leben.

Und umgekehrt: Was aus Deiner Ausbildung hast du schnell verworfen bzw. was hat sich als nicht alltagstauglich innerhalb Deiner Arbeit erwiesen?

Das Dirigieren habe ich nie verwendet, im Gegensatz zu meiner Schwester bin ich da gar nicht gut und tue es auch nicht gerne, aber zu singen oder zu musizieren mit guten Dirigenten macht mir noch heute viel Spaß.

Wie ist das in Deiner Ausbildungsgeneration: trifft man sich noch immer, weiß man voneinander oder ist man etwa befreundet?

Ich lebe ziemlich weit weg von meinen Studienkollegen, die hauptsächlich in Deutschland und Österreich tätig sind. Wir haben uns nach über 30 Jahren in Wien getroffen, sehr viele waren dabei und es war ein nettes, informatives Wochenende, wir haben uns Zeit genommen und jeder hat aus seinem Leben erzählt. Mit Doris, einer Studienkollegin, habe ich ein Jahr in einer WG gelebt, und wir sehen uns immer wieder bei uns oder bei ihr oder beim gemeinsamen Urlaub oder Singen. Sie lebt in Hamburg, ist noch aktiv als Musiktherapeutin und kann mir einiges über die anderen Studienkollegen aus Deutschland erzählen.

Woran aus Deiner Ausbildungszeit erinnerst Du Dich besonders gerne (oder besonders ungerne)?

Ich habe viele Erinnerungen aus meiner Musiktherapieausbildungszeit in Wien, die meisten waren positiv. Allerdings kommt immer wieder, vor allem in Bezug auf meine jetzige Arbeit mit sozialgeschädigten Jugendlichen und der #MeToo-Debatte, eine unangenehme Erinnerung auf. Einer unserer Klavierlehrer hat mehrmals im Einzelunterricht seine Hand auf meinen Oberschenkel gelegt. Ich war 18, meine Reaktion war, die Hand wegzuschieben, allerdings kam sie kurze Zeit später wieder. Ab dem Moment ging ich nicht mehr zum Klavierunterricht, hatte aber trotzdem (oder deswegen) eine sehr gute Note, im Jahr darauf habe ich den Lehrer gewechselt. Ich war natürlich nicht die Einzige, die diesen Übergriff erlebt hat, dieses einem anderen Lehrer oder dem Vorstand zu melden kam uns nicht in den Sinn.
Dieses Schlüsselerlebnis hat natürlich nichts mit der Musiktherapieausbildung an sich zu tun, sondern mit dem damals und auch heute oft üblichen Machtmissbrauch und Sexismus.

Zurückblickend, wie denkst Du heute über Deine Musiktherapie-Ausbildung in Wien? Würdest Du sie noch einmal absolvieren? Oder würdest Du sogar Deinen Kinder zu dieser Ausbildung raten, wenn sie Dich fragen würden?

Ich blicke heute noch gerne auf meine Ausbildungszeit zurück. Ich konnte sehr viel lernen, von ausgezeichneten, guten, aber auch von den weniger guten Lehrern und natürlich auch von meinen Studienkolleg.innen und Patienten. Ich würde sie sofort wieder absolvieren. Es war ein Privileg, in einer kleinen Gruppe (14) Unterricht zu haben, der Unterschied zu den Vorlesungen in Allgemeiner Psychologie im Audi-Max war frappierend, allerdings konnte auch so eine Vorlesung spannend sein, ich denke da an die Tiefenpsychologie. Und auch die Supervisionsgruppen und die gemeinsame Arbeit im Tandem oder im Team waren sehr wertvoll. Meine jüngste Tochter spielte eine Zeit lang mit der Idee, eine Musiktherapieausbildung zu absolvieren, sie wählte dann aber einen anderen Weg.

Wie lauten Deine Wünsche an das Geburtstagskind "Musiktherapie-Ausbildung in Wien"?

Natürlich alles Liebe und Gute und noch einen langen weiteren Lebensweg wünsche ich der Musiktherapieausbildung in Wien. Ich finde es sehr gut und wichtig, was die Musiktherapeuten in Österreich erreicht haben, aus dem außerordentlichen Studium wurde ein ordentliches und ein anerkannter Beruf. Da sind sie den Franzosen um vieles voraus. Ein möglichst breitgefächertes Therapieangebot erscheint mir besonders bei psychischen Problemen wichtig zu sein. Die Musik richtet sich an unsere Emotionen, und die werden oft nicht oder falsch wahrgenommen. Musik ist ein bedeutender Bestandteil unseres Wohlbefindens, sie auch bei anderen Heilungs- oder Pflegeprozessen anzubieten, wäre auch wichtig und helfend.