Interview des Monats Mai

 

Hanns-Günter Wolf

geboren 1959 in Neuendettelsau, Bayern

derzeit berufstätig als Dipl. Psychologe und Musiktherapeut. Traumatherapie, Onkologie, Palliativmedizin, Lehrtätigkeit und eigene Praxis

(Fotos: privat)

Lieber Hanns-Günter,

Du bist so jung wie die Musiktherapie. Entschuldige bitte die Frage: "Wie fühlt sich das an?"

Wahrscheinlich hat es auch mit meinem Beruf als Musiktherapeut zu tun, dass ich mich nicht wirklich alt fühle – zumindest nicht in dem Sinne, dass ich das Gefühl habe, in feste Routinen eingebunden zu sein – körperlich erkenne ich natürlich schon einigen Verschleiß. Es gibt aber ja das Phänomen, dass das gleiche musiktherapeutische Angebot wie z.B. die freie Improvisation, das ich bestimmt schon einige hundert Male erlebt habe, noch nie langweilig für mich geworden ist. So führt diese musiktherapeutische Haltung vielleicht dazu, mich im ganzen Leben auf vielen Ebenen staunend jung zu halten – hoffentlich bis zu meinem Tode.

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Du in Wien Musiktherapie studiert hast?

Ich war mit meinem Studium als Elektroingenieur fertig und wusste nur, dass dies nicht der richtige Beruf für mein ganzes Leben sein würde. Gleichzeitig war ich Keyboarder in einer typischen Krautrock Band – und Rockmusiker war auch das Einzige, was mir damals gefallen hatte, wobei mir auch klar war, dass dies als Berufsperspektive eher illusorisch war. So versuchte ich erst, Musik mit Elektronik zu verbinden und hatte Tonmeister oder Toningenieur in Sinne. Aber auch hier ging es ja nur darum, etwas zu produzieren, was profitabel ist, und das hatte daher wenig mit meinem Herzenswunsch zu tun. In dieser persönlichen Selbstfindungszeit hörte ich irgendwann davon, dass es den Beruf des Musiktherapeuten gibt. Da ich in meinem Selbstbild von keinerlei emphatischem Ehrgeiz wusste, machte ich erst einmal ein Praktikum in einem Heim für behinderte Menschen und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass ich diese Tätigkeit so sinnvoll und erfüllend fand, dass ich ernsthaft mit dem Gedanken spielte, einfach gleich dort zu bleiben. Schnell meldete sich aber wieder die Liebe zur Musik, und die Entscheidung Musiktherapeut zu werden stand fest. In dieser Zeit gab es im deutschsprachigen Raum nur die Möglichkeit, Musiktherapie in Wien oder in Heidelberg zu studieren. Die Wahl für Wien war dann ganz leicht als die Stadt der Psychotherapie und der Musik – zumal noch dazu Heidelberg gerade im Umbruch war und die Zukunft des dortigen Studienganges nicht sicher war.

Wenn Du nicht Musiktherapie studiert hättest – was hättest Du stattdessen getan?

Es gab keine Alternative – es ist ein besonderes Schlüsselerlebnis in meinem Leben, das erste Mal mit der Entscheidung für die Musiktherapie ein klares „Ja Ja“ in mir zu spüren – im Vergleich zu anderen, eher halbherzigen "Ja aber" oder "Ja vielleicht" … Entscheidungen. Das heißt, dass ich das erste Mal mit wirklich ganzem Einsatz ein Ziel verfolgte und es für mich nicht vorstellbar war, die Aufnahmeprüfung des auch damals sehr begehrten Lehrgangs nicht zu schaffen.

Was bedeutet für Dich "Wiener Schule der Musiktherapie" heute?

Die „Wiener Schule“ ist auf jeden Fall eine sehr besondere Musiktherapie-Ausbildung. Als typische Tradition zieht sich der Anspruch nach möglichst höchster Qualität und Integration der neuesten Erkenntnisse durch die Jahrzehnte. So hatte ich noch Unterricht bei Prof. Dr. Rett, Prof. Dr. Schindler und Dr. Gathmann, die allesamt Koryphäen auf ihrem Gebiet waren, und es war ein wirkliches Privileg, von ihnen unterrichtet zu werden. Diesem Anspruch ist die Ausbildung bis heute treu geblieben in der Balance zwischen Selbsterfahrung, prozessorientiertem Lehren und wissenschaftlicher Forschung. Als inhaltliches Markenzeichen sehe ich die besondere Bedeutung des musikalischen Partnerspiels. Es war ein Erlebnis, mit Herrn Schmölz zusammen am Klavier zu spielen, und diese Kraft und der Zauber sind noch heute in der Wiener Schule zu spüren.

Zu Deiner musiktherapeutischen Arbeit bzw. zu Deinem musiktherapeutischen Handwerk: Gibt es da immer noch etwas, das aus Deiner Ausbildung stammt und sich nie/kaum verändert hat? 

Tatsächlich das oben genannte Partnerspiel in den vielfältigsten Varianten ist nach wie vor ein methodischer Pfeiler meiner musiktherapeutischen Arbeit.

Und umgekehrt: Was aus Deiner Ausbildung hast du schnell verworfen bzw. was hat sich als nicht alltagstauglich innerhalb Deiner Arbeit erwiesen?

Sehr verändert hat sich die therapeutische Haltung. Etwa die Sichtweise der therapeutischen Abstinenz, die damals noch sehr rigide vertreten wurde und in der z.B. ein musikalisches „Fürspiel“, etwa als Abschiedswunsch eines Patienten, problematisch gesehen wurde – im Sinne einer narzisstischen Selbstdarstellung des Therapeuten. Methodisch hat sich auch der Stellenwert der Katharsis als therapeutisches Agens deutlich gewandelt. Musikalisches Aus-agieren wurde damals weitgehend als heilsam angesehen. Beides hat sich im Spiegel der Traumatherapieforschung sehr stark verändert, und als Therapeut bin ich heute wesentlich stützender und schützender als ich es in meiner damaligen Ausbildung gelehrt bekommen habe.

Wie ist das in Deiner Ausbildungsgeneration: trifft man sich noch immer, weiß man voneinander oder ist man etwa befreundet?

Es war ein wirklich enger Kontakt zu vielen. Ich hatte mit 2 MitstudentInnen zusammengelebt, und es war auf der menschlichen Ebene eine wirklich besondere Zeit meines Lebens. Die ersten Jahre nach dem Abschluss gab es auch regelmäßige Treffen mit vielen Mitstudenten. Aktuell pflege ich keine regelmäßigen Kontakte, wenn wir uns aber mal treffen – auf einer Tagung oder ähnlichem – ist die Vertrautheit und Wertschätzung unverändert.

Zurückblickend, wie denkst Du heute über Deine Musiktherapie-Ausbildung in Wien? Würdest Du sie noch einmal absolvieren? Oder würdest Du sogar Deinen Kinder zu dieser Ausbildung raten, wenn sie Dich fragen würden?

Ich finde nach wie vor die Wiener Ausbildung die wahrscheinlich beste im deutschsprachigen Raum und würde, stände ich heute vor der Wahl, alles versuchen, um nach Wien zu kommen. 

Wie lauten Deine Wünsche an das Geburtstagskind "Musiktherapie-Ausbildung in Wien"?

Ich wünsche der Wiener Musiktherapie-Ausbildung, dass es gelingt, die gute Balance zu halten zwischen wissenschaftlichem Anspruch bei der Erforschung musiktherapeutischer Prozesse und Wirkungen und der praktischen, erfahrungsorientierten Vermittlung therapeutischer Kompetenzen einschließlich der dazu notwendigen Persönlichkeitsentwicklung – auch bei dem Umbauprozess zum Bachelor/Master Studiengang.

In diesem Zusammenhang ist die Leitung von Prof. Thomas Stegemann, der ja über offene wertschätzende Kommunikation gerne eine sehr breite Basis musiktherapeutischer Kompetenzen in den Entscheidungsprozessen berücksichtigt, ein wirkliches Glück.