Mina Yangs Statement Beethoven and the Dangers of Hero Discourses am 19. August 2020 initiierte einen angeregten und kritischen Austausch zu den Themen der auf 2021 verschobenen isaScience-Konferenz Heroes, Canons, Cults. Critical Inquiries.

Zoom Screenshot © David Röthler

Die u. a. für ihr Buch Planet Beethoven bekannte Musikwissenschaftlerin Mina Yang (USA) zeigte in ihrem Zoom-Vortrag bei der isaScience digital die problematischen Aspekte der Heroisierung weißer, cis-männlicher Komponisten westlicher Kunstmusik auf: „Beethoven wurde zum Inbegriff männlicher Vormachtstellung und Universalität.“ Und weiter, Henry Kingsbury zitierend, betonte Yang: „Im Musikhochschulbereich sind musikalische Aufführung und Interpretation untrennbar mit der Aushandlung und Reproduktion sozialer Ungleichheit verbunden.“ Ihre Analyse des Heroisierungs- und Kanonisierungsprozesses von Beethovens Person und Musik durch große Konzerthäuser und klassische Musikpädagogik blieb aber nicht bei der Feststellung stehen, dass dies bei vielen Dirigenten zu Machtmissbrauch, Ausnutzung von hierarchischen Beziehungen bis hin zu sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung geführt hatte. Yang nahm in ihrem engagierten Vortrag auch auf sehr aktuelle Entwicklungen Bezug: Sie wies darauf hin, dass im Sog des Harvey-Weinstein-Skandals und der #MeToo-Bewegung klassische Musiker_innen an die Öffentlichkeit traten und Musikhochschullehrende und Dirigent_innen an Konservatorien der sexuellen Belästigung und Vergewaltigung beschuldigten. Die „Helden“ von einst – James Levine, Charles Dutoit und Placido Domingo, um nur die berühmtesten zu nennen – wurden Yang zufolge zu Symbolen dessen, was im Herzen der klassischen Musik verdorben war. Yang brachte mit einem Zitat des Musikjournalisten Norman Lebrecht das trotz #MeToo fortbestehende Problem auf den Punkt, nämlich die Angst vor Vergeltung im Musikindustrie- und Musikschulbetrieb: „Der Schweigekodex in der klassischen Musik ist so streng wie die sizilianische Omertà. Machen Sie den Mund auf, sind Sie tot.“

Deshalb sei es an der Zeit, grundlegend die Strukturen und die Organisation klassischer Musik zu hinterfragen und vor allem all jene Musiken und Zuhörer_innen ins Auge zu fassen, die bis jetzt keinen Zugang zu den Diskursen an den Konservatorien hatten. Dies würde bedeuten, die Black-Lives-Matter-Bewegung sowie die #MeToo-Bewegung tatsächlich ernst zu nehmen. Denn, so Yang in ihrer Argumentation weiter: „Solange die Macht in den Händen einiger weniger liegt und Heldenmythen weiterhin männliche Tapferkeit feiern, solange wird es Täter geben, deren rücksichtsloses Verhalten nach wie vor nicht bestraft wird, und Opfer, die kein Recht erfahren. […] Wir haben die Chance, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen und viel radikalere Alternativen in Betracht zu ziehen.“ Drei Ziele nannte Yang: Erstens, die Verbindung zwischen der Welt der klassischen Musik und der realen Welt anzuerkennen und zu stärken; zweitens, Beethoven kleiner zu machen; drittens, alle anderen größer zu machen. Diese drei Ziele sollten dazu führen, den Universalismus und die Transzendenz westlicher Kunstmusik hinter sich zu lassen und sich endlich mit Rassismus, Klassismus, Sexismus, Ableismus etc. tatsächlich und in der eigenen Institution auseinanderzusetzen.

Zum Abschluss ihres Vortrags brachte Yang zwei Fallbeispiele, in denen sie ihre drei Ziele schon verwirklicht sieht: Das erste Projekt heißt The Silk Road Project und wird seit Juli von Rhiannon Giddens geleitet. Das zweite Beispiel sind die Hauskonzerte und Tiny Desk Concerts von Igor Levit, Beethoven-Preisträger 2019, die laut Yangs Urteil ebenfalls den von ihr genannten drei Zielen Rechnung tragen. Mit ihrem Statement zur isaScience digital hat Mina Yang dazu eingeladen, sich eine andere Zukunft für die klassische Musik vorzustellen, die inklusiv statt ausschließend ist, die Solidarität statt Hierarchie fördert und die Gemeinschaft anstelle des einsamen Helden unterstützt.

Da die isaScience aufgrund der internationalen Covid-19-Pandemie erstmals in einer digitalen und verkürzten Ausgabe stattfand, kann die Aufzeichnung von Mina Yangs Vortrag vom 19. August 2020 hier abgerufen werden.

V. l. n. r.: Rosa Reitsamer, Fritz Trümpi, Dagmar Abfalter, Marko Kölbl © Stephan Polzer

Die isaScience-Konferenz zum Thema Heroes, Canons, Cults. Critical Inquiries wurde von August 2020 auf den 11. bis 15. August 2021 verschoben. Der Call for Papers bleibt bis zum 28. Februar 2021 offen. Sämtliche bis dato eingelangte Abstracts werden weiterhin berücksichtigt oder können auch überarbeitet und neu eingereicht werden.

Weitere Informationen finden Sie unter mdw.ac.at/isascience

Heroes, Cults, Canons. Critical Inquiries
11. – 15. August 2021
Keynotes von Mina Yang (USA), Esteban Buch (Frankreich), Milena Dragićević Šešić (Serbien), Denise Gill (USA)
Leitungsteam: Dagmar Abfalter, Marko Kölbl, Rosa Reitsamer, Fritz Trümpi
Koordination: Karoline Feyertag

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