Bericht zur isaScience Konferenz 2019

Was hat das Ende der Stummfilmära mit der Arbeitslosigkeit von Orchestermusiker_innen zu tun? Welche Parallelen können wir zwischen diesem historischen Beispiel aus den globalen 1930er-Jahren zur Digitalisierung von Musikarbeit und dem Einsatz neuer Technologien ziehen? Werden menschliche Musiker_innen demnächst von virtuellen Stars, die weder körperliche Bedürfnisse noch Gefühle haben und rund um die Uhr präsent sein können, abgelöst?

Diese und andere Fragen stellten sich über dreißig Forschende aus dreizehn Ländern bei der 7. isaScience Konferenz vom 7. bis 11. August 2019 in Reichenau an der Rax. Interdisziplinarität, eines der wichtigsten Merkmale der isaScience, war sowohl in den entsprechend zusammengesetzten Panels wie auch in den beiden Podiumsdiskussionen, an denen sich die Konferenzteilnehmer_innen allesamt rege beteiligten, omnipräsent. Musikgeschichte, Musiksoziologie, Kulturbetriebslehre sowie Ethnomusikologie traten entlang der Leitthemen rund um „Musik als Arbeit“, „Machtkämpfe und politischer Aktivismus“ sowie „emotionale und affektive Arbeit“ in einen äußerst produktiven Dialog. Im Zentrum standen dabei zum einen die oftmals prekären Arbeitsverhältnisse von Musikarbeiter_innen, zum anderen wurden auch Mechanismen zeitgenössischer wie historischer Musikproduktion und deren Rahmenbedingungen rege und kontrovers diskutiert. Ein zentraler Fokus lag unter anderem auf Beiträgen zur #MeToo-Debatte, den unterschiedlichen Formen von klassistischer, rassistischer und sexueller Diskriminierung sowie den Möglichkeiten, Musikstudierenden und Musikschaffenden sozialen, politischen und psychologischen Rückhalt zu bieten.

mdw-Mitarbeiter_innen brachten sich u. a. mit Beiträgen zu Musikvermittlung als einer neuen Herausforderung für traditionelle Musikpädagogik, mit soziologischen Analysen zur Karriere klassischer Musiker_innen oder mit politischen Dimensionen der Plena-Musik in Puerto Rico ein. Im Rahmen von isaScience präsentierte und diskutierte das exil.arte Zentrum den Dokumentarfilm Das erste Jahrhundert des Walter Arlen im Open-Air-Kino im Schlossgarten Wartholz zur Geschichte und Arbeit des Exilkomponisten Walter Arlen.

Vier hervorragende Keynote Lectures führten in das jeweilige Tagesthema ein: Sally-Anne Gross (UK) sprach über die Frauenbewegung und das Business der Musikindustrie, wobei sie ihre erfahrungsbasierten Beispiele auch während der folgenden Tage engagiert in die Diskussion einbrachte. Gross’ Position zwischen universitärer Lehre und Musikproduktion am „freien“ Markt kann als wegweisend für künftige Neuausrichtungen der Musikpädagogik und universitären Curricula, gepaart mit dem Know-how marktwirtschaftlichen Kalküls, gewertet werden.

Die Keynote Lecture von William Cheng (USA) stellte die Frage nach affektiven Identifikationen im Musikkonsum: Wie geht es uns, wenn wir die Musik einer Person lieben, von der sich herausstellt, dass sie sich jahrelang sexuellen oder anderen Machtmissbrauch zuschulden kommen ließ? Können (und sollen) wir heute noch Clips von Michael Jackson anschauen oder uns Aufnahmen mit dem Dirigenten James Levine anhören?

Rumya S. Putcha (USA) beschäftigte sich in ihrer Keynote Lecture mit der US-amerikanischen indischen Tanzindustrie und deren Verbindung zur hindu-nationalistischen Aneignung von Tanzformen unterdrückter Kasten, wobei sie auf strukturelle Gewalt in Form von antifeministischem, rassistischem und sexuellem Missbrauch einging. Dabei kam der Frage, was der Konditionierung zum Weiß-Sein und Frau-Sein zu entgegnen sei, großes Gewicht zu.

Die Keynote Lecture des letzten Konferenztags hielt William Weber (USA). Er begab sich auf eine Spurensuche nach den Music Halls in London und den Café-Concerts in Paris, die er als Ausgangspunkte einer sich entwickelnden „Popularmusik“ identifizierte: Menschen im ausgehenden 19. Jahrhundert konnten sich Konzerte mit zeitgenössischer Musik nicht zuletzt deshalb „leisten“, weil sich die beteiligten Musiker_innen mehr auf Musikvereine und -gewerkschaften stützten als auf ein Engagement an den „großen Häusern“ Europas.

Die isaScience präsentiert sich erneut nicht nur als interdisziplinäres, sondern ebenso als internationales Projekt: Neben den beiden isaScience-­Stipendiatinnen aus Belgrad kamen viele der Vortragenden aus östlich von Österreich gelegenen Ländern, ferner aus den USA, Großbritannien und weiteren europäischen Ländern – und schließlich aus Österreich selbst. Dies bestätigt die offenkundig globale Präsenz und Urgenz des Themas „Musik als Arbeit“.

Das wissenschaftliche Team der ­isaScience: Marko Kölbl, Rosa ­Reitsamer, Dagmar Abfalter und Fritz Trümpi © Stephan Polzer

Das wissenschaftliche Team der isaScience, Dagmar Abfalter, Marko Kölbl, Rosa Reitsamer und Fritz Trümpi, kündigte bereits einen Arbeitstitel für das Thema der isaScience 2020 an: „Heroes, Canons, Cults. Postcolonial and Queer-Feminist Perspectives.“ Ein Thema, das auch im Kontext des 250. Geburtstages von Ludwig van Beethoven gelesen werden kann.

isaScience 2020
12. bis 16. 8. 2020
Hotel Marienhof
Hauptstraße 71–73
2651 Reichenau an der Rax
mdw.ac.at/isa/isascience

 

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