Lothar Knessl (*1927 in Brünn, †2022 in Wien)

Kaum jemand hat die Szene der zeitgenössischen Musik in Österreich seit den 1950er Jahren stärker geprägt als Lothar Knessl.

Basis dafür waren sein Studium der Musikwissenschaft und Theaterwissenschaft, die Mitwirkung in verschiedenen Chören, seine Kompositionskurse bei Ernst Krenek und Karl Schiske, sowie die Teilnahme und Mitwirkung an den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt (seine Kompositionen reichen von Motetten bis zu Schlagern). Auf dieser breiten Basis entfaltete sich ein ungemein vielfältiger Lebensweg, der zunächst mit Lektoratsarbeiten und journalistischen Tätigkeiten für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften begann und ab 1967 parallel in mehrere Jahrzehnte währende Tätigkeiten für die Wiener Staatsoper (als Disponent, Redakteur, Pressereferent) und in die Gestaltung von Radiosendungen für den ORF mündete (unter den Titeln Studio neuer Musik, Experimentelle Musik, schließlich Zeit-Ton bis 2016). In diesen Radiosendungen brachte Knessl hunderte Werke zeitgenössischer Musik den HörerInnen in einer Art und Weise näher, die sowohl reflektierte kompositionsgeschichtliche Einordnungen als auch auf unmittelbaren Eindrücken basierende Anregungen umfasste. Bemerkenswert ist auch das Phänomen, dass für Knessl die gleichzeitige Auseinandersetzung mit zeitgenössischer/Neuer Musik auf der einen, und die Arbeit in einer sehr von der Tradition bestimmten Institution auf der anderen Seite offenbar kein Problem war. Ein Meilenstein für die Neue Musik-Szene in Österreich war zweifellos die Gründung des Festivals Wien Modern im Jahr 1988, die im Wesentlichen auf der Initiative von Claudio Abbado und Lothar Knessl basierte. Der Erfolg dieses Festivals zeigt sich nicht zuletzt darin, dass es in den letzten Jahren jeweils von mehr als 30.000 Menschen besucht wurde. Knessl war viele Jahre Programmbeirat und Redakteur der jährlichen Almanache, darüber hinaus war er bis 2015 maßgebend für die Vergabe des seit 1989 im Rahmen von Wien Modern ausgelobten Erste Bank Kompositionspreises.

Rückblickend hat Lothar Knessl sein reiches Leben durch folgende vier Schwerpunkte charakterisiert: Vermittler Neuer Musik, Autor, Komponist, Kurator. Das war auch der Titel einer Ausstellung, die Mitglieder des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw (Juri Giannini, Andreas Holzer, Stefan Jena, Jürgen Polak) im Rahmen von Wien Modern 2016 gestalteten. Ermöglicht wurde diese Ausstellung durch eine umfangreiche und vielfältige Sammlung, die Knessl dem Institut schon 2015 als Vorlass dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat. Dieses Konvolut, das in der Historischen Sammlung des Instituts aufbewahrt wird und öffentlich zugänglich ist, umfasst wertvolle Zeitdokumente, welche sämtliche Tätigkeitsbereiche Knessls abdeckt. Zu diesen Zeitdokumenten zählen Rezensionen und Aufsätze, Kompositionen samt Skizzen, Typoskripte zu den Radiosendungen (von 1967 bis 2016), Skizzen zu Lehrveranstaltungen an der Uni Wien, zahlreiche Konzertprogramme (oft mit Anmerkungen versehen) und Videos (mit zum Teil sonst kaum erhältlichen Mitschnitten von zeitgenössischen Musiktheateraufführungen). Diese Fülle an Materialien bietet Anknüpfungspunkte und Querbezüge für die verschiedensten Bereiche des österreichischen Musiklebens der letzten 70 Jahre und kann somit Basis für zukünftige Forschungsarbeiten sein.