Fr, 11:00

Katja Rothe Universität der Künste Berlin (udk)

Wenn Musen müssen. Zur Interdependenz von Achtsamkeit und Kapitalismus

Der Vortrag nimmt die Geschichte des Konzeptes der Achtsamkeit in den Blick, z.B. Elsa Gindlers körpertherapeutische Schule aus den 1920er Jahren, die in den USA von Charlotte Selvers in den 40er Jahren zur Sensory Awareness weiterentwickelt wurde. Ich verfolge dabei die These, dass bereits im 19. Jahrhundert im Rahmen der Neurasthenie-Bewegung und im Bezug auf buddhistische Traditionen Konzepte der „Muße“ entwickelt wurden, um die Subjektivierungspraktiken einer durch die Medien- und Arbeitskultur entstehenden weißen „akademische Klasse“ (Reckwitz) zu stützen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Muße und neoliberaler Kapitalismus keine Gegensatzpaare bilden, sondern das eine die reproduktive Vorlage des anderen zu sein scheint. Bereits Elsa Gindler entwickelte ihre Achtsamkeitskonzepte in Hinblick auf die Förderung der „Reagierbereitschaft“ des „Berufsmenschen“. Die kritische Betrachtung wird flankiert von Isabelle Loreys Analysen zur gegenwärtigen Prekarisierung als Lebensstil von Künstler_innen, die sich Prekarität ebenso leisten können müssen wie die Integration der Achtsamkeit in ein ansonsten entgrenztes Leben. Neben all dieser Kritik soll aber auch gefragt werden, wie ein Denken jenseits der Beschleunigung möglich ist, wobei ich vorschlage, den Begriff der Kritik selbst in diese Überlegung einzubeziehen.

Katja Rothe, Dr.in, studierte Psychologie, Geschichte, neuere deutsche Literatur und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Juniorprofessorin für Theaterwissenschaft und Dramaturgie mit Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität der Künste Berlin. Forschungsschwerpunkte sind: Wissensgeschichte (Psychologie) und Künste; Gender Studies in den Künsten, Vermittlung als kritische Praxis. Letzte Veröffentlichungen:

„Media Ecology of the Soul: Play in Child Psychiatry”. In: Monika Domann, Ulrike Bergermann, Jeremy Stolow, Erhard Schüttpelz, Nadine Taha (Hg.): Connect and Divide. The Practice Turn in Media Sudies. Erscheint in Diaphanes Publishers 05.2020.

„On the Magic of the Scene. Martha Muchow‘s Scenographies“. In: Lars Friedrich, Karin Harrasser, Céline Kaiser (Hg.): Scenographies of the Subject. Springer VS, S. 59-90.

“Mimesis as a social practice of self-education”. In: Christian Borch (Hg.): The Imitative, Contagious, and Suggestible Roots of Modern Society: Towards a Mimetic Foundation of Social Theory. CRESC series at Routledge 2019, S. 73-88.