Der Nachlass-Erwerb

Der Nachlass gelangte 1963 als Schenkung in den Besitz der Bibliothek der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, der heutigen Universitätsbibliothek. Die Schenkung erfolgte unter der Auflage der Verpflichtung zur geschlossenen Aufstellung in einem eigens zu diesem Zweck einzurichtenden Raum, um - so die Intention der Spenderin Lotte Walter-Lindt - den Studierenden, besonders den Studierenden der Theorie- und Kapellmeisterklassen, Gelegenheit zu geben, anhand der von Bruno Walter eingerichteten Partituren und Orchestermaterialien dessen Interpretations- und Aufführungsstil kennenzulernen, sowie seine Gedanken darüber studieren zu können.

Am 25. Mai 1962, nur wenige Monate nach dem Tod Bruno Walters, sprach der Intendant der Berliner Philharmoniker Wolfgang Stresemann bei dem damaligen stellvertretenden Präsidenten der Akademie Prof. Hartmann vor und übermittelte diesem im Auftrag von Lotte Walter-Lindt, der Tochter und Erbin Bruno Walters, das Angebot, den gesamten Nachlass ihres Vaters der Akademie zu überlassen. Die Schenkung sollte allerdings unter der Auflage erfolgen, dass das Material nicht wie in einem Museum tot gelegt wird, sondern lebendig für die Schüler von Nutzen sein soll, und dass man es in einem speziellen Raum, der "Bruno Walter Zimmer" heißen soll, unterbringen möge. In der darauffolgenden Sitzung des Lehrerkollegiums wurde das Angebot erörtert und dessen Annahme beschlossen unter Vorbehalt des Zeitpunkts der Einrichtung eines der Forderung entsprechenden Gedächtnisraumes. In einem persönlichen Dankschreiben an Lotte Walter-Lindt versicherte Präsident Hans Sittner die Spenderin nicht nur, die Nachlassstücke mit großer Verehrung zu hüten, sondern auch seines Bestrebens, den Raum mit Bildern und anderen, auf die Persönlichkeit Bruno Walters hinweisenden Erinnerungsstücken auszustatten.

Die erste Lieferung traf im Juni 1963 in Wien ein. Sie enthielt Noten und Bücher. Die Übersendung der Korrespondenzen sowie der Gesamtausgabe der Bach-Werke, die Bruno Walter aus dem Nachlaß von Gustav Mahler erhalten hatte und die sie als Leihgabe auf Lebenszeit Alma Mahler überlassen hatte, verspricht Frau Walter-Lindt für einen späteren Zeitpunkt. Beides hat die Akademie nie erhalten. 

Aber auch die Erfüllung der Auflage, ein Bruno-Walter-Gedächtniszimmer einzurichten, zu der sich die Akademie verpflichtet hatte, verzögerte sich. Wohl erst die Drohung, den gesamten Nachlass aus Wien herauszunehmn und einer anderen Institution zu überlassen, bewog die Leitung der Akademie, sich der Lösung des Raumproblems anzunehmen. Als Übergangslösung sollte zunächst ein repräsentatives bislang als Konferenzzimmer verwendetes Zimmer im Reinhardt-Seminar in der Penzingerstraße dienen, um nach Fertigstellung des Neubaus der Akademie in der Seilerstätte den Nachlass dort unterzubringen und zugänglich zu machen. "Das Gedenkzimmer wird zu bestimmten Zeiten geöffnet, von einem Angestellten betreut, nicht nur museal ausgestattet, sondern auch zum Studium eingerichtet sein. Im Herbst 1964, mit Beginn des neuen Studienjahres, soll das Gedenkzimmer eingerichtet und seiner Bestimmung übergeben werden, versichert man der Spenderin.

Am 26. November 1964 wurde der Gedächtnisraum mit einer Bruno Walter - Gedächtnisausstellung eröffnet, in deren Rahmen der Nachlass zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Ausstellung war bis zum 25. Februar 1965 zugänglich.

1967 wurde der Gedächtnisraum aus dem Reinhardt-Seminar im Palais Cumberland in das Hauptgebäude in der Lothringerstraße verlegt. Die feierliche Eröffnung fand am 10. Juni 1967 anläßlich des 90. Geburtstages von Bruno Walter statt, die gemeinsam von der Akademie und den Wiener Philharmonikern veranstaltet wurde und an der auch Lotte Walter-Lindt teilnahm.

Seit dem Umbau der Bibliothek im Jahr 1998 befindet sich der Nachlass im Magazin im Halbstock/Lothringerstraße. Bestellte Partituren oder sonstige Nachlassstücke werden ohne Wartezeit ausgehändigt und können im Lesesaal an Ort und Stelle eingesehen werden. Eine ständige Ausstellung im Bibliotheksbereich unterstreicht die Bedeutung des Bruno Walter Nachlasses für die Bibliothek der Musikuniversität.

Aus: Susanne Eschwé, Der Bruno Walter Nachlass in der Bibliothek der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, S. 27 ff.

Zum Nachlesen: Eine Dokumentation des Nachlass-Erwerbs auf Basis der Korrespondenz zwischen Musikakademie und Lotte Walter-Lindt.