European Voices II

Volksterminologie und musikalisches Phänomen

Die grundlegende Bedeutung der Terminologie steht für jede Wissenschaft zwar außer Streit, viele Termini werden aber oft in Frage gestellt und immer wieder neu definiert. In der Ethnomusikologie ist dieser Vorgang eine all zu bekannte Erscheinung, beschäftigen sich doch die Forscher dieser Disziplin mit unterschiedlichsten Musikkulturen. Dazu kommen die mannigfaltigen Weltanschauungen der Gewährspersonen, die gleichzeitig Träger und Darsteller (im doppelten Sinn des Wortes) der jeweiligen Tradition sind. Dieser Zustand nimmt in Fragen vokaler Mehrstimmigkeit eine besondere Stellung ein, auf Grund der eigenen „musikalischen Ästhetik“ und des eigenen Vokabulars, die sich unter Sängergruppen etabliert haben. Die Dualität zwischen der „Regionalität“ der Volksterminologie und der „Universalität“ wissenschaftlicher Termini ist die Folge. Diese wird einerseits durch unterschiedliche Wandlungsprozesse innerhalb jeder Tradition und andererseits durch den Einfluss anderer Wissenschaftsbereiche auf die Ethnomusikologie verschärft. Hierfür nimmt die historische Musikwissenschaft, die sich vor allem mit der so genannten „westlichen Kunstmusik“ beschäftigt, eine Sonderstellung ein.

Abhilfe in dieser Situation verspricht u. a. die Auseinandersetzung mit Fragen des „kulturellen Hörens“ und des „lokalen Discours“ mehrstimmiger Musik, in Form eines internationales Netzwerkes von Spezialisten unter aktiver Mitwirkung der Gewährspersonen. Von der Erforschung der Besonderheiten und des Werdegangs mehrstimmiger Musik in Europa aus diesem Blickwinkel ist viel Neues auch in Fragen der Erscheinung und Wahrnehmung musikalischer Phänomene als solche zu erwarten. Die Untersuchung des bunten Bildes der Wandlungen dieser Musik wäre nicht zuletzt die beste Antwort auf die heute noch in manchen Regionen heiß umkämpften Ursprungshypothesen.